Tagebuch (German Edition)
nur braune Bohnen. Kartoffeln essen wir zu jeder Mahlzeit, beginnend (aus Brotmangel) mit dem Frühstück, aber da werden sie wenigstens noch ein bisschen gebacken. Für die Suppe nehmen wir braune und weiße Bohnen, Kartoffeln und Päckchensuppen (Julienne-, Königin-, Bohnensuppe). In allem sind braune Bohnen, nicht zuletzt im Brot. Abends essen wir immer Kartoffeln mit künstlicher Soße und, das haben wir zum Glück noch, Rote-Bete-Salat. Über die Mehlklöße muss ich auch noch was sagen: Die machen wir aus »Regierungsmehl« mit Wasser und Hefe. Sie sind so pappig und zäh, dass sie einem wie ein Stein im Magen liegen, aber was soll’s.
Unsere größte Attraktion ist die Scheibe Leberwurst jede Woche und die Marmelade auf trockenem Brot. Aber wir leben noch, und es schmeckt uns sogar oft gut.
Deine Anne M. Frank
Mittwoch, 5. April 1944
Liebste Kitty!
Eine Zeit lang wusste ich überhaupt nicht mehr, wofür ich noch arbeite. Das Ende des Krieges ist so entsetzlich weit, so unwirklich, märchenhaft und schön. Wenn der Krieg im September nicht vorbei ist, dann gehe ich nicht mehr zur Schule, denn zwei Jahre will ich nicht zurückfallen.
Die Tage bestanden aus Peter, nichts als Peter. Nur Träume und Gedanken, bis ich am Samstagabend ganz schlaff wurde, fürchterlich. Ich kämpfte bei Peter gegen meine Tränen, lachte später schrecklich viel mit van Daan beim Zitronenpunsch, war fröhlich und aufgekratzt.
Aber kaum war ich allein, wusste ich, dass ich mich ausweinen musste. Im Nachthemd ließ ich mich auf den Boden gleiten und betete sehr intensiv und lange, dann weinte ich mit dem Kopf auf den Armen, die Knie angezogen, zusammengekauert auf dem kahlen Fußboden. Bei einem lauten Schluchzer kam ich wieder zu mir und bekämpfte meine Tränen, weil sie drüben nichts hören durften. Dann begann ich, mir Mut zuzusprechen. Ich sagte nur immer: »Ich muss, ich muss, ich muss …« Ganz steif von der ungewohnten Haltung fiel ich gegen die Bettkante und kämpfte weiter, bis ich kurz vor halb elf wieder ins Bett stieg. Es war vorbei!
Und jetzt ist es völlig vorbei. Ich muss arbeiten, um nicht dumm zu bleiben, um weiterzukommen, um Journalistin zu werden, das will ich! Ich weiß, dass ich schreiben kann . Ein paar Geschichten sind gut, meine Hinterhausbeschreibungen humorvoll, vieles in meinem Tagebuch ist lebendig, aber ob ich wirklich Talent habe, das steht noch dahin.
Evas Traum war mein bestes Märchen, und das Seltsame dabei ist, dass ich wirklich nicht weiß, wo es herkommt. Viel aus Cadys Leben ist auch gut, aber insgesamt ist es nichts. Ich bin selbst meine schärfste und beste Kritikerin hier, ich weiß genau, was gut und was nicht gut geschrieben ist. Keiner, der nicht selbst schreibt, weiß, wie toll Schreiben ist. Früher habe ich immer bedauert, dass ich überhaupt nicht zeichnen kann, aber jetzt bin ich überglücklich, dass ich wenigstens schreiben kann.
Und wenn ich nicht genug Talent habe, um Zeitungsartikel oder Bücher zu schreiben, nun, dann kann ich noch immer für mich selbst schreiben. Aber ich will weiterkommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich so leben muss wie Mutter, Frau van Daan und all die anderen Frauen, die ihre Arbeit machen und später vergessen sind. Ich muss neben Mann und Kindern etwas haben, dem ich mich ganz widmen kann! O ja, ich will nicht umsonst gelebt haben wie die meisten Menschen. Ich will den Menschen, die um mich herum leben und mich doch nicht kennen, Freude und Nutzen bringen. Ich will fortleben, auch nach meinem Tod. Und darum bin ich Gott so dankbar, dass er mir bei meiner Geburt schon eine Möglichkeit mitgegeben hat, mich zu entwickeln und zu schreiben, also alles auszudrücken, was in mir ist.
Mit Schreiben werde ich alles los. Mein Kummer verschwindet, mein Mut lebt wieder auf. Aber, und das ist die große Frage, werde ich jemals etwas Großes schreiben können, werde ich jemals Journalistin und Schriftstellerin werden?
Ich hoffe es, ich hoffe es so sehr! Mit Schreiben kann ich alles ausdrücken, meine Gedanken, meine Ideale und meine Phantasien.
An Cadys Leben habe ich lange nichts mehr getan. In meinen Gedanken weiß ich genau, wie es weitergehen soll, aber es ist nicht so richtig geflossen. Vielleicht wird es nie fertig, vielleicht landet es im Papierkorb oder im Ofen. Das ist keine angenehme Vorstellung. Aber dann denke ich wieder: »Mit vierzehn Jahren und so wenig Erfahrung kann man auch noch nichts Philosophisches
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