Tagebuch (German Edition)
ich jedoch zu müde, und bis halb vier hörte ich nichts. Ich wurde wach, als Frau van Daan ihren Kopf auf meine Füße legte.
»Geben Sie mir bitte was zum Anziehen!«, bat ich. Ich bekam auch was, aber frag nicht, was! Eine wollene Hose über meinen Pyjama, den roten Pullover und den schwarzen Rock, weiße Socken und darüber kaputte Kniestrümpfe.
Frau van Daan nahm dann wieder auf dem Stuhl Platz, und Herr van Daan legte sich auf meine Füße. Ich fing an nachzudenken. Ich zitterte immer noch so, dass van Daan nicht schlafen konnte. In Gedanken bereitete ich mich darauf vor, dass die Polizei zurückkommen würde. Dann müssen wir sagen, dass wir Untertaucher sind. Entweder sind es gute Niederländer, dann ist alles in Ordnung, oder es sind Nazis, dann muss man sie bestechen.
»Tu doch das Radio weg!«, seufzte Frau van Daan.
»Ja, in den Herd«, antwortete Herr van Daan. »Wenn sie uns finden, dürfen sie auch das Radio finden.«
»Dann finden sie auch Annes Tagebuch«, mischte sich Vater ein. »Verbrennt es doch!«, schlug die Ängstlichste von uns vor.
Das und der Moment, als die Polizei an der Schranktür rüttelte, waren meine angstvollsten Augenblicke. Mein Tagebuch nicht! Mein Tagebuch nur zusammen mit mir! Aber Vater antwortete zum Glück nicht.
Es hat überhaupt keinen Zweck, die Gespräche zu wiederholen, an die ich mich erinnere. Es wurde so viel geredet. Ich tröstete Frau van Daan in ihrer Angst. Wir sprachen über Flucht, Verhöre bei der Gestapo, über Telefonieren und über Mut.
»Nun müssen wir uns eben wie Soldaten verhalten, Frau van Daan. Wenn wir draufgehen, na gut, dann eben für Königin und Vaterland, für Freiheit, Wahrheit und Recht, genau was im Sender Oranje immer wieder gesagt wird. Das Schlimme ist nur, dass wir die anderen dann mit ins Unglück ziehen.«
Herr van Daan wechselte nach einer Stunde wieder den Platz mit seiner Frau. Vater kam zu mir. Die Herren rauchten ununterbrochen. Ab und zu war ein tiefer Seufzer zu hören, dann wieder Pinkeln, und dann fing alles wieder von vorn an.
Vier Uhr, fünf Uhr, halb sechs. Nun setzte ich mich zu Peter. Dicht aneinander gedrückt, so dicht, dass wir die Schauer im Körper des anderen fühlten, saßen wir da, sprachen ab und zu ein Wort und lauschten angestrengt. Im Zimmer zogen sie die Verdunklung hoch und schrieben die Punkte auf, die sie Kleiman am Telefon sagen wollten.
Um sieben Uhr wollten sie ihn nämlich anrufen, damit jemand kam. Das Risiko, dass ein möglicher Bewacher vor der Tür oder im Lager das Telefonieren hörte, war groß. Aber noch größer, dass die Polizei wieder zurückkam. Obwohl ich den Erinnerungszettel hier beilege, zur größeren Deutlichkeit noch die Abschrift der Punkte:
Eingebrochen. Polizei war im Haus, bis zum Drehschrank, weiter nicht.
Einbrecher sind offenbar gestört worden, haben Lager aufgebrochen und sind durch den Garten geflüchtet.
Haupteingang verriegelt. Kugler muss durch die zweite Tür weggegangen sein.
Schreibmaschine und Rechenmaschine sind sicher in der schwarzen Kiste im Privatbüro.
Wäsche von Miep oder Bep liegt in der Waschwanne in der Küche.
Schlüssel für zweite Tür haben nur Bep oder Kugler, möglicherweise Schloss kaputt.
Versuchen, Jan zu benachrichtigen, Schlüssel holen und zum Büro gehen, um nachzuschauen. Katze muss gefüttert werden.
Alles verlief nach Wunsch. Kleiman wurde angerufen, die Schreibmaschine in die Kiste gebracht. Danach saßen wir wieder am Tisch und warteten auf Jan oder die Polizei.
Peter war eingeschlafen, Herr van Daan und ich lagen auf dem Boden, als wir unten laute Schritte hörten. Leise stand ich auf. »Das ist Jan!«
»Nein, nein, das ist die Polizei!«, sagten alle anderen.
Es wurde geklopft, Miep pfiff. Frau van Daan wurde es zu viel. Leichenblass und schlaff hing sie in ihrem Stuhl, und wenn die Spannung noch eine Minute länger gedauert hätte, wäre sie ohnmächtig geworden.
Als Jan und Miep hereinkamen, bot unser Zimmer einen herrlichen Anblick. Der Tisch alleine wäre schon ein Foto wert gewesen: Ein »Cinema & Theater« aufgeschlagen, die Seite mit Tänzerinnen voll mit Marmelade und einem Mittel gegen Durchfall, zwei Marmeladengläser, ein halbes und ein viertel Brötchen, Pektin, Spiegel, Kamm, Streichhölzer, Asche, Zigaretten, Tabak, Aschenbecher, Bücher, eine Unterhose, eine Taschenlampe, Toilettenpapier usw. usw.
Jan und Miep wurden natürlich mit Jauchzen und Tränen begrüßt. Jan zimmerte das Loch mit Holz zu
Weitere Kostenlose Bücher