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Tagebücher 01 - Literat und Europäer

Tagebücher 01 - Literat und Europäer

Titel: Tagebücher 01 - Literat und Europäer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sándor Márai
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der schöpferische Mensch, der aus dem Stoff seines Wesens und seiner Existenz etwas erschafft.
    Nur der Dilettant ist sparsam. Der Künstler ist immer verschwenderisch und schämt sich im Grunde seiner Seele noch, denkt schuldbewusst: Ich habe noch immer zu wenig gegeben, denn ich habe zwischendurch auch gelebt, mehr oder weniger, habe mir auch die Krawatte gebunden, war eine Viertelstunde vielleicht sogar glücklich.
    Wie journalistisch seine Novellen zu Anfang der Zwanzigerjahre noch sind! Ein Triumph des Feuilletons: Alle schreiben so, als habe Franz Molnár die Gattung erfunden. Das Leben ist »klein, gemein«, ein Kellner »arm, traurig«. Mit vierzig findet er seinen eigenen Ton. Seine Prosa aus dieser Zeit ist bereits streng und wortkarg, die Attribute von tödlicher Treffsicherheit.
    Ein wunderbarer Tag, an dem das Thema der Möwe unverhofft seine endgültige Form, seinen Grundriss findet – alle eigenständigen Elemente des Themas, die »Ähnlichkeit«, die »Geheimgesellschaft«, die Kriegsstimmung setzen sich auf einmal zu einem runden, organischen Ganzen zusammen, wie Kristalle in einem Kaleidoskop. Wer hat dabei geholfen? Gestern war alles noch Nebel und Verwirrung, heute bildet alles eine organische Einheit – »es muss nur noch geschrieben werden«. Und es muss in der Tat nur noch geschrieben werden … zusammengehalten wird das Ganze durch den wundersamen und unbegreiflichen Zusammenhang der Elemente, durch eine unerklärliche Kohärenz. Es gibt in jedem künstlerischen Schöpfungsakt einen Augenblick – den entscheidenden, schicksalhaften Augenblick! –, in dem der Künstler nur noch einem Befehl folgt, den Entwurf, den ihm eine himmlische Hand vorgesetzt hat, gleichsam nur noch ausführt.
    Nach freudianischer Lesart hasst Hamlet seinen inzestuösen Onkel, da er selbst den Platz des ermordeten Vaters im Bett der geliebt-verhassten sinnlichen Mutter einnehmen möchte.
    Solche Deutungen schweben im luftleeren Raum, aus dem einfachen Grund, weil sie nicht zu beweisen sind. Doch zweifellos ist Hamlets Beziehung zu seinem toten Vater und seiner Hochzeit haltenden Mutter nicht »normal«. Hamlet ist ein depressives, pathologisch melancholisches Wesen, das nicht nach Plan mordet – dazu fehlt ihm die Kraft –, sondern in einer krankhaften Aufwallung des Augenblicks. Der Hass, den er für seinen Stiefvater empfindet, ist natürlich; die schwärmerische Verherrlichung des Andenkens seines Vaters ist pathologisch. Aber alle Thesen, mit denen die Freudianer diesen Seelenzustand zu erläutern suchen, sind vage und ungewiss.
    Es »könnte« genauso gut sein, dass Hamlet homosexuell ist – leicht ließe sich nachweisen, dass in dem neurotischen dänischen Prinzen der männliche Protagonist der »Sonette« zum Bühnenleben erweckt wurde.
    Das Entsetzen, womit ich denn meine Zeit verbringen, meine verbleibende Lebenszeit totschlagen soll? Und das andere Entsetzen, dass ich sie schon totgeschlagen habe.
    Sich damit abfinden, dass nicht nur das Leben, sondern auch der Tod seinen Preis hat. Man muss dafür bezahlen, mit Schmerzen, Leiden, namenlosen Qualen. Bekommt man das Leben nicht »umsonst«? Meist ziemlich billig. Der Tod hingegen kostet viel, im wahrsten Sinn des Wortes.
    Der Angriff des Unkultivierten kann brutal sein, aber irgendwie verfehlt er sein Opfer doch, wenn er ihm einen gewaltigen Schlag versetzen will … Der Kritiker einer Pfeilkreuzler -Zeitung stellt in einer Rezension meines Buchs der Kräuter fest, dass die kleinen Maximen »unter dem Eindruck von Lin Yutangs Buch Honig und Pfeffer « entstanden seien. Lin Yutangs erwähntes Buch beinhaltet Zeitungsartikel, die weder im Tonfall noch im Umfang der Gattung, noch durch irgendeine Eigenart an meine Maximen erinnern. Jeder, der die beiden Bücher kennt und auch nur den leisesten, blassesten Schimmer von Literatur hat, weiß und muss zugeben, dass keinerlei Ähnlichkeit zwischen beiden besteht. Der Pfeilkreuzler-Kritiker wollte anscheinend seine literarische Bildung zur Schau stellen, als er derart plump danebengriff. Aber das merkt er gar nicht; ich allerdings auch kaum.
    Es gibt Bücher, die seltsamerweise nur so lange kraftvoll und überzeugend wirken, wie ihr Verfasser noch lebt. Das gilt auch für die Bücher von Peter Altenberg , des Wiener Kaffeehausweisen aus der Friedenszeit ( Was der Tag mir zuträgt usw.). Der Zauber dieser Art Schriften wirkt nur, solange der Leser weiß, dass der »Peter« irgendwo im Wiener Café Central sitzt,

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