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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Sonntag. In der Nacht besondere Schlaflosigkeit. Bis 1/4 12 im Bett bei Sonnenschein.
    Spaziergang. Mittagessen. Zeitunggelesen, in alten Katalogen geblättert. Spaziergang Hybernergasse, Stadtpark, Wenzelsplatz, Ferdinandstraße, dann gegen Podol zu. Mühselig auf 2 Stunden ausgedehnt. Hie und da starke, einmal geradezu brennende Kopfschmerzen gefühlt. Genachtmahlt. Jetzt zuhause. Wer kann das von oben vom Anfang bis zum Ende mit offenen Augen überblicken?
    25 XII (1915) Eröffnung des Tagebuches zu dem besondern Zweck, mir Schlaf zu ermöglichen. Sehe aber gerade die zufallige letzte Eintragung und könnte 1000 Eintragungen gleichen Inhalts aus den letzten 3 – 4 Jahren mir vorstellen. Ich verbrauche mich sinnlos, wäre glückselig schreiben zu dürfen, schreibe nicht. Werde die Kopfschmerzen nicht mehr los. Ich habe wirklich mit mir gewüstet. – Gestern offen mit meinem Chef gesprochen, da ich durch den Entschluß zu sprechen und das Gelübde nicht zurückzuweichen 2 Stunden allerdings unruhigen Schlafs in der vorgestrigen Nacht mir ermöglicht
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    habe. 4 Möglichkeiten meinem Chef vorgelegt: 1.) alles weiter belassen, wie in der letzten allerärgsten Marterwoche und mit Nervenfieber, Irrsinn oder sonstwie enden 2.) Urlaub nehmen, will ich nicht aus irgendeinem Pflichtgefühl, es würde aber auch nichts helfen 3.) Kündigen, kann ich jetzt nicht meiner Eltern und der Fabrik wegen 4.) bleibt nur Militärdienst. Antwort: eine Woche Urlaub und Hämatogenkur, die der Chef gemeinsam mit mir machen will. Er selbst ist wahrscheinlich schwer krank.
    Gienge ich auch, wäre die Abteilung verwaist.
    Erleichterung offen gesprochen zu haben. Zum erstenmal mit dem Wort "Kündigung" fast officiell die Luft in der Anstalt erschüttert.
    Trotzdem heute kaum geschlafen.
    Immer diese hauptsächliche Angst: Wäre ich 1912
    weggefahren im Vollbesitz aller Kräfte mit klarem Kopf, nicht zernagt von den Anstrengungen lebendige Kräfte zu
    unterdrücken!
    Mit Langer: Er kann Maxens Buch erst in 13 Tagen lesen.
    Weihnachten hätte er es lesen können, da man nach einem alten Brauch Weihnachten nicht Tora lesen darf (ein Rabbi zerschnitt an diesem Abend immer das Closetpapier für das ganze Jahr) diesmal aber fiel Weihnachten auf Samstag. In 13 Tagen aber ist russische Weihnacht, da wird er lesen. Mit schöner Litteratur oder sonstigem weltlichen
    Wissen soll man nach
    mittelalterlicher Tradition erst vom 70ten Jahr, nach einer mildern Ansicht erst vom 40. Jahr sich beschäftigen. Medicin war die einzige Wissenschaft, mit der man sich beschäftigen durfte. Heute auch mit ihr nicht, da sie jetzt zu sehr mit den andern Wissenschaften verknüpft ist. – Auf dem Kloset darf man nicht an die Tora denken, daher darf man dort weltliche Bücher lesen. Ein sehr frommer Prager, ein gewisser Kornfeld, wußte viel Weltliches, er hat alles auf dem Kloset studiert.
    19. April 1916
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    Er wollte die Tür zum Gang öffnen aber sie widerstand. Er blickte hinauf, hinunter, das Hindernis war nicht zu finden.
    Auch versperrt war die Tür nicht, der Schlüssel steckte innen, hätte man von außen zuzusperren versucht, wäre der Schlüssel herausgestoßen worden. Und wer hätte denn zusperren sollen?
    Er stieß mit dem Knie gegen die Tür, das Mattglas erklang, aber die Tür blieb fest. Sieh nur. – Er gieng ins Zimmer zurück, trat auf den Balkon und blickte auf die Straße hinab. Er hatte aber das gewöhnliche Nachmittagsleben unten noch nicht mit einem Gedanken erfaßt, als er wieder zur Tür zurückkehrte und nochmals zu öffnen versuchte. Aber nun war es kein Versuch, die Tür öffnete sich sogleich, es bedurfte kaum eines Druckes, vor dem Luftzug, der vom Balkon her strich, flog sie geradezu auf, mühelos wie ein Kind, das man zum Scherz die Klinke berühren läßt, während ein Größerer sie in Wirklichkeit niederdrückt, erlangte er den Eintritt zu dem Gang.
    Ich werde 3 Wochen für mich haben. Heißt das grausam behandelt werden?
    Vor kurzem geträumt: Wir wohnten auf dem Graben in der Nähe des Cafe Kontinental. Aus der Herrengasse bog ein Regiment ein, in die Richtung zum Staatsbahnhof. Mein Vater:
    "So etwas muß man sehn, solange man dazu imstande ist" und schwingt sich (im braunen Schlafrock des Felix, die ganze Gestalt war eine Vermischung beider) auf das Fenster und spreizt sich draußen mit ausgestreckten Armen auf der sehr breiten, stark abfallenden Fensterbrüstung. Ich packe ihn und halte ihn an den beiden Kettchen, durch

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