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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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ist, am Samstag innerhalb dieses Kreises sich zu bewegen, Kleinigkeiten (wie Taschentücher) bei sich zu tragen. – Die Gesellschaften der Chassidim, bei denen sie sich fröhlich über Talmudfragen unterhalten. Stockt die Unterhaltung oder beteiligt sich einer nicht, entschädigt man sich mit Gesang.
    Melodien werden erfunden, gelingt eine werden Familienglieder hereingerufen und mit ihnen repetiert und studiert. Ein Wunderrabbi, der öfters Hallucinationen hatte, versenkte bei einer solchen Unterhaltung plötzlich sein Gesicht in die auf den Tisch gelegten Arme und verblieb so unter allgemeinem Schweigen 3 Stunden. Als er erwachte weinte er und trug einen ganz neuen lustigen militärischen Marsch vor. Es war dies die Melodie, mit welcher Totenengel eben die Seele eines zu dieser Zeit in einer weit entfernten russischen Stadt verstorbenen Wunderrabbis zum Himmel begleitet hatten. – Nach der Kabbala bekommen am Freitag die Frommen eine neue
    vollkommen himmlische, zartere Seele, die bis Samstag abend bei ihnen bleibt. – Am Freitag abend begleiten jeden Frommen zwei Engel vom Tempel nachhause; der Hausherr begrüßt sie stehend im Speisezimmer; sie bleiben nur kurze Zeit.
    "Die Liebe zu einer Schauspielerin" "Ein Teater"
    Immer hatte die Erziehung der Mädchen, ihr Erwachsensein, die Gewöhnung an die Gesetze der Welt einen besonderen Wert für mich. Sie laufen dann einem, der sie nur flüchtig kennt und gern mit ihnen flüchtig reden möchte, nicht mehr so hoffnungslos aus dem Weg, sie bleiben schon ein wenig stehn und sei es auch nicht gerade an der Stelle des Zimmers wo man sie haben will, man muß sie nicht mehr halten mit Blicken, Drohungen oder der Macht der Liebe, wenn sie sich abwenden, tun sie es langsam und wollen damit nicht verwunden, dann ist auch ihr Rücken breiter geworden. Was man ihnen sagt, geht nicht verloren, sie hören die ganze Frage an, ohne daß man sich beeilen müßte und antworten, zwar scherzhaft, jedoch genau auf die gestellte Frage. Ja sie fragen sogar selbst mit erhobenem
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    Gesicht und ein kleines Gespräch ist ihnen nicht unerträglich.
    Sie lassen sich in der Arbeit, die sie gerade vorgenommen haben, durch einen Zuschauer kaum mehr
    stören,
    berücksichtigen ihn also weniger, doch darf er sie auch länger anschauen. Nur zum Ankleiden ziehn sie sich zurück. Es ist die einzige Zeit, während der man unsicher sein kann. Sonst aber muß man nicht mehr durch Gassen laufen, bei Haustoren abfangen und immer wieder auf einen glücklichen Zufall warten, trotzdem man doch schon erfahren hat, daß man die Fähigkeit nicht besitzt ihn zu zwingen. Trotz dieser großen Veränderung aber die mit ihnen vorgegangen ist ist es keine Seltenheit, daß sie bei einer unerwarteten Begegnung mit einer Trauermiene uns entgegenkommen, die Hand flach in die unsere legen und mit langsamen Bewegungen uns wie einen
    Geschäftsfreund zum Eintritt in die Wohnung laden. Schwer gehn sie im Nebenzimmer auf und ab, wie wir aber auch dort eindringen aus Lüsternheit und Trotz hocken sie in einer Fensternische und lesen die Zeitung ohne einen Blick für uns zu haben.
    3 XII 11 Ich habe jetzt ein Stück in Schäfers Karl Stauffers Lebensgang. Eine Chronik der Leidenschaft gelesen und bin von diesem großen in mein nur in Augenblicken erhorchtes Innere dringenden Eindruck so befangen und festgehalten, dabei aber durch das von meinem verdorbenen Magen mir auferlegte Hungern und durch die übliche Aufregung des freien Sonntags so ins Weite getrieben, so daß ich ebenso schreiben muß, wie man sich bei äußerer durch Äußeres erzwungener Aufregung nur durch Fuchteln mit den Armen helfen kann.
    Das Unglück des Junggesellen ist für die Umwelt, ob scheinbar oder wirklich, so leicht zu erraten, daß er, jedenfalls, wenn er aus Freude am Geheimnis Junggeselle geworden ist, seinen Entschluß verfluchen wird. Er geht zwar umher mit zugeknöpftem Rock die Hände in den hohen Rocktaschen, die Ellbogen spitz, den Hut tief im Gesicht, ein falsches schon
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    eingeborenes Lächeln soll den Mund schützen, wie der Zwicker die Augen, die Hosen sind schmäler, als es an magern Beinen schön ist. Aber jeder weiß wie es um ihn steht, kann ihm aufzählen was er leidet. Kühle weht ihn aus seinem Innern an, in das er mit der noch traurigern andern Hälfte seines Doppelgesichtes hineinschaut. Er übersiedelt förmlich unaufhörlich, aber mit erwarteter Gesetzmäßigkeit. Je weiter er von den Lebenden wegrückt, für die er

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