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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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wilde, rohe Masse, die von Zeit zu Zeit die Hemdärmel aufstreifte und die Arme bis an die Schultern in Blut tauchte?
    Wenn sie alle das Volk sind, so gestehe ich gerne zu, daß ich es nicht kenne, daß ich es nicht kennen mag. Aber ich glaube nicht, daß das Volk eine so auserlesene Sammlung von Henkersknechten sein kann.
    Man sah zu jener unglücklichen Zeit auf den Spitzen der Lanzen und Spieße wie rühmliche Siegeszeichen mehr abgeschnittene Menschenköpfe durch die Straßen tragen, als mein Großvater und seine Vorfahren jemals abgeschlagen hatten. Man sah die entmenschten Horden mehr verstümmelte Leichname über das Pflaster dahinschleppen, als in einem Jahrhundert nach dem Urteil des Kriminalhofes von dem Schafott zur letzten Ruhestätte getragen worden waren.
    Alles das mußte, wie ich es auch schon früher erwähnt habe, Charles Henri Sansons Enthusiasmus für die Revolution bedeutend vermindern. Infolgedessen hielt er sich so fern als möglich von den Ereignissen der Zeit, was um so besser ging, als damals sein Sohn, mein Vater, schon sieben- bis achtundzwanzig Jahre alt war. Dies ist so wahr, daß man am 10. August 1792 in meiner Familie die Erstürmung des Tuilerienschlosses gar nicht einmal erfahren hatte.
    Bei den Offizier- und Unteroffizierwahlen der Nationalgarde wurden mein Großvater und mein Vater zu Sergeanten ernannt; mein Großonkel Charlemagne Sanson erhielt die Würde eines Korporals. Diese Ämter verpflichteten sie, einen tätigeren Anteil, als ihnen lieb war, an den politischen Ereignissen zu nehmen. Meine Verwandten füllten erst kurze Zeit jene Stellen aus, als man schon im Konvent über die Anhängigmachung des Prozesses gegen den königlichen Gefangenen zu debattieren begann.
Der Tod Ludwigs XVI.
    Ich will nicht all der Debatten und Wortkämpfe gedenken, die sich der Berg und die Gironde im Konvent bei Gelegenheit der Prozeßverhandlungen über das erhabene königliche Opfer lieferten. Mit Stillschweigen will ich all die heldenmütigen Bestrebungen des Lanjuinais übergehen, diese wichtige Frage, die später Desèze so energisch in jenem glänzenden Satz konzentrierte:
    »Ich suche unter euch Richter und sehe nichts als Ankläger!«
    Am 11. Dezember 1792 war es, wo der unglückliche Monarch auf der Anklagebank des Konvents erschien. Es führte gerade Barère den Vorsitz, dessen kalte Beredsamkeit einen so entscheidenden Einfluß auf das Endurteil ausübte.
    Am 17. Januar 1793 wurde endlich das königsmörderische Urteil gesprochen.
    Zuerst war das allgemeine Erstaunen so groß, daß man nicht glauben mochte, daß die Stimmensammlung auf rechtmäßige Weise zugegangen sei, und so mußte man tags darauf, am 18., diese Handlung noch einmal vornehmen.
    Das Ergebnis der Sitzung des vorigen Tages wurde durch diese zweite Stimmensammlung vollständig anerkannt und Vergniaud, der an diesem Tage im Konvent den Vorsitz führte, bestätigte, daß das über Ludwig Capet gefällte Urteil auf
Tod
laute.
    Die Sitzung des 19. Januar wurde durch die Prüfung der Aufschubsfrage ausgefüllt. Da versuchten noch alle diejenigen, welche bisher so furchtsam für den König gesprochen hatten, ihr Möglichstes. Eine Majorität von 690 Stimmen über 380 erklärte, daß die Hinrichtung des königlichen Verurteilten ohne Nachteil für die Nation keine Frist erlangen könnte.
    Dies war die erste Mitteilung, die uns mein Großvater brachte, nachdem er mit einer immer steigenden Angst diesem entsetzlichen Prozeß von Tag zu Tag gefolgt war.
    Der 20. Januar sollte für ihn ein Familienfesttag werden; es war nämlich der Jahrestag seiner Verheiratung mit meiner guten Großmutter, welche in ihr sechzigstes Jahr eintrat und nun neunundzwanzig Jahre mit Charles Henri Sanson in glücklicher Ehe lebte. Mein Großvater wollte ihr das Ereignis verheimlichen, das einen Trauerflor über diesen ihnen so lieben Tag warf, aber die Verwirrung seiner Züge erlaubte ihm nicht, seine Angst zu verbergen. Mein fast ebenso unruhig bewegter Vater antwortete gleichfalls nur mit sichtlichem Zwang auf die gewöhnlichen Fragen seiner Mutter nach den neuesten Vorfällen. Das ganze Haus zeigte eine ernste und würdige Traurigkeit.
    Um nicht den Verdacht meiner Großmutter zu erregen und nachdem sie allen Hausbewohnern ein entschiedenes Stillschweigen auferlegt hatten, machten sich mein Großvater und mein Vater auf den Weg und gingen durch die Stadt, um sich über die immer mehr und mehr verbreitenden Gerüchte in Kenntnis zu setzen. Hier

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