Tagebücher der Henker von Paris
Monarchen vielleicht unter seinen allmächtigen Schutz nehmen und aus der ihm angedrohten Hinrichtung eine Huldigung machen könnte!
Während ich mich noch in solchen Träumen wiegte, während meine Seele sich Bilder aller Art vorführte, um nur nicht an die Wahrheit glauben zu müssen, da erwartete mich schon ein Erwachen, das nicht fürchterlicher hätte sein können!
Von Zeit zu Zeit hefteten sich meine Augen ängstlich auf den Ausgang der Rue de Madeleine.
Plötzlich sah ich ein Kavalleriekorps herangesprengt kommen und dahinter einen von zwei Pferden gezogenen Wagen, von einer doppelten Reihe Kavalleristen umgeben und von einer zweiten Abteilung derselben Waffengattung gefolgt. Da war kein Zweifel mehr, kein Traum mehr möglich, denn dort erschien der königliche Märtyrer.
Es wurde mir schwarz vor den Augen, ein förmliches Zittern überfiel meine Glieder; ich warf einen schnellen Blick auf meinen Sohn und sah auch dessen Gesicht leichenblaß werden.
Indessen kam der Wagen an. Der König saß hinten rechts, ihm zur Seite ein Priester, sein Beichtiger; auf dem Rücksitz befanden sich zwei Gendarmen.
Der Wagen hielt, die Tür öffnete sich; zuerst stiegen die beiden Gendarmen aus, nach ihnen der verehrungswürdige Priester in einer Kleidung, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, und endlich der König, würdiger, ruhiger und majestätischer, als ich ihn nur je in Versailles und in den Tuilerien gesehen hatte.
Als ich ihn sich der Treppe nähern sah, warf ich einen verzweiflungsvollen Blick um mich, überall bemerkte ich nur Soldaten. Das hinter diesen Waffenreihen stehende Volk schien vor Staunen erstarrt zu sein und beobachtete ein düsteres Stillschweigen.
Übrigens würde das unaufhörliche Rasseln der Trommeln seine Stimme erstickt haben, wenn es auch einen Ruf des Mitleids hätte ertönen lassen wollen.
Wo blieben nun alle jene zahlreichen Retter, die sich tags vorher gemeldet hatten?
Charlemagne und ich waren erstarrt; Martin, jünger und entschlossener, trat vor, entblößte ehrfurchtsvoll sein Haupt und bemerkte dem Könige, daß man ihm laut Regel und Vorschrift seine Kleidung abnehmen müsse.
»Das ist unnütz, man kann mit mir zu Ende kommen, wie ich da bin.«
Mein Bruder bestand darauf und fügte hinzu, daß es ebenso unerläßlich sei wie das Binden seiner Hände.
Diese letzte Mitteilung schien den König noch mehr zu empören und machte ihn bis zur Stirn erröten.
»Ach was,« sagte er, »Ihr werdet es nicht wagen, die Hand an mich zu legen! Da nehmt, da ist mein Rock, aber rühret mich nicht an!«
Indem er dies sagte, zog er selbst seinen Rock aus.
Charlemagne kam Martin zur Hilfe. Obgleich es ihm schwer wurde, mit diesem erhabenen Opfer zu sprechen, welches ihn mit Blicken betrachtete, die tief in seinem Herzen zu lesen schienen, so sagte er, um nicht die wilden Banden, welche das Schafott umstanden, aufzureizen, zu dem Könige in kaltem Tone, während Tränen seinen Augen entquollen:
»Das Binden der Hände, das mein Bruder verlangt, ist unbedingt notwendig. Die Hinrichtung ist ohne dieses unmöglich.«
Endlich an meine Pflicht erinnert, flüsterte ich, da ich nicht mehr länger die ganze Verantwortung auf den Schultern meiner Brüder ruhen lassen konnte, in das Ohr des Priesters:
»Herr Abbé, ersuchen Sie den König darum, ich bitte Sie inständigst. Während man ihm die Hände binden wird, gewinnen wir Zeit; es ist unmöglich, daß das Volk nicht einem solchen Schauspiele seiner besseren Überzeugung gemäß ein freudiges Ende machen sollte!«
Der Abbé wendete sich mit einem traurigen Blicke, in dem sich gleichzeitig Verwunderung, Ungläubigkeit und Fassung aussprachen, zu mir um, neigte sich aber dann zu dem Könige und sagte mit leiser, tiefbewegter Stimme:
»Sire, willigen Sie auch in dieses letzte Opfer, durch welches Sie sich im voraus der Belohnung Gottes versichern werden.«
Sofort bot der König seine Arme zum Binden dar, während sein Beichtiger ihn das Bild Christi küssen ließ. Zwei meiner Gehilfen banden die Hände, die einst das Szepter geführt hatten.
Mir war, als ob dies das Zeichen einer Gesinnungsänderung der Volksmassen werden müßte, welche nun zugunsten des königlichen Opfers ausbräche. Aber es ließ sich nichts vernehmen als das höllische Gerassel der Trommeln.
Durch den würdigen Priester unterstützt, stieg der König langsam und majestätisch die Stufen zu dem Schafott hinauf.
»Wollen denn die Trommler gar nicht aufhören?«
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