Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
Vom Netzwerk:
Vorurteil der schlimmsten Art betrachten, welches mit aller Würde und Kraft zu bekämpfen sei. Dies erklärt seine Verteidigungsrede vor dem Parlamente im Jahre 1766 und seine Gesuche bei der Nationalversammlung von 1789.
    Solcher Art war also bis zum Tode Ludwigs XVI. der unbeugsame Charakter meines Ahnherrn in allem, was er die Ehre seines Amtes nannte, gewesen: der Glaube an die Todesstrafe, die Achtung vor der Würde des Vollstreckers, Krieg bis aufs äußerste dem Vorurteil, welches diesen Beamten mit Schmach bedecken wollte. Das Blut, das der Konvent ihn zu vergießen verurteilte, fing an, ihm die Augen zu klären. Als er ein ganzes soziales Gebäude, welches er zu verehren gewohnt war, Stück für Stück zertrümmern sah, fragte er sich, was es auf der Erde Sicheres und Heiliges gäbe; ob es noch erlaubt sei, an das Schafott zu glauben, nachdem man den Thron hatte fallen sehen; ob in einer Gesellschaft, wo alles gefesselt wird, die Zerstörung der Königswürde nicht auch den Henker in Frage stelle und endlich, ob seine Mission noch die der Vorsehung und der göttlichen Ordnung sein könnte an dem Tage, wo sie darin bestand, den Gesalbten des Herrn zu enthaupten.
    Es war eine angstvolle Qual für den Geist Charles Henri Sansons, von der er in der schrecklichen Nacht vom 20. zum 21. Januar 1793 gefoltert wurde.
    Am 21. Januar 1793 erschien mein Großvater, der gewöhnlich so häuslich war, nur einige Augenblicke unter dem Dach seiner Familie. Nach der Hinrichtung empfing er die Umwarmungen seiner Frau und seines Sohnes zitternd, als wäre er dieser Liebkosungen nicht würdig; dann entzog er sich ihren Tröstungen und verschwand, um erst bei vorgerückter Nacht wieder nach Hause zu kommen.
    Meine Großmutter, welche nie, ohne ihn zu sehen, zu Bette gegangen wäre, wurde bereits von einer tötlichen Unruhe befallen, als Chesneau, der stets mehr als Freund und Vertrauter denn als Diener angesehen wurde, ihr einige tröstliche Worte sagte.
    »Fürchten Sie nichts, Madame,« sprach er, »ich glaube zu wissen wohin der Herr gegangen ist.«
    »Und wohin denn, mein Gott, an einem solchen Tage?«
    »Der Herr hat mir ein Geheimnis abgefragt, welches ich ihm nicht länger verhehlen mochte: die Adresse des ärmlichen Hauses, wo sich der alte Priester und die Nonnen versteckt halten, für die ich ihn um Hilfe gebeten hatte.«
    Charles Henri Sanson kehrte zwischen ein und zwei Uhr morgens zurück, immer noch düster, aber ruhiger, und aus einer angemessenen Zurückhaltung befragte man ihn nicht weiter.
    »Chesneau,« sagte er, »ich habe deine Schützlinge gesehen; der Winter ist rauh; man muß ihnen morgen früh Holz und einige Lebensmittel bringen und diese Gabe nach einigen Tagen erneuern.«
    Nach diesen wenigen Worten zog sich mein Großvater mit der Überzeugung zurück, daß seine Wünsche erfüllt würden. Am nächsten Morgen erzählte er meiner Großmutter, daß er sich in der Tat nach La Villette begeben habe, in eine ärmliche Behausung, welche einem unbeeidigten Priester, der dem Gemetzel bei den Karmelitern entronnen war und zwei aus ihren Klöstern vertriebenen Nonnen als Zufluchtsort diente; daß er von der Barmherzigkeit des Priesters eine Messe bewilligt erhalten hatte, weniger der Seelenruhe des Königs wegen, dem sein Märtyrertod ohne Zweifel die Tore des Paradieses geöffnet, als um des Friedens seines eigenen, unter der Last seines Amtes erschütterten Gewissens willen.
    Das Geheimnis dieser Sühnemesse wurde während der Lebenszeit meines Großvaters getreulich bewahrt; nach seinem Tode aber meinten meine Großmutter und mein Vater, daß dieser Zug seinem Gedächtnisse Ehre machte, und konnten nicht umhin, denselben einigen Freunden mitzuteilen. Die Sache kam auch zur Kenntnis eines berühmten Schriftstellers, Balzac, welcher dieselbe bestätigt zu hören und die Einzelheiten aus dem Munde meines Vaters selber kennen zu lernen wünschte. Der letztere genügte seinem Wunsche und ihre Unterhaltung lieferte den Stoff zu einer Erzählung, die in der Einleitung zu den in der Restauration veröffentlichten unechten Memoiren benutzt worden ist:
    Gegen Ende des Monats Januar 1793 kam eine alte Dame in Paris den Abhang hinunter, welcher vor der Kirche Saint-Laurent in der Vorstadt Saint-Martin endigt. Es mochte ungefähr acht Uhr abends sein. Es hatte den ganzen Morgen so geschneit, daß die Schritte kaum auf dem Pflaster zu hören waren. Überdies war es kalt. Die Straßen waren verödet und die natürliche

Weitere Kostenlose Bücher