Tagebücher der Henker von Paris
Pappkästchen hinhielt.
»Nichts, nichts, meine Freunde,« antwortete sie in sanftem Tone. Sie erhob ihr Auge auf den Pastetenbäcker, als wollte sie ihm einen Blick des Dankes spenden. Als sie aber eine rote Mütze auf seinem Haupte sah, stieß sie einen Schrei aus.
»Sie haben mich verraten!«
Die junge Frau und ihr Mann antworteten mit einer abwehrenden Gebärde, worüber die Unbekannte, sei es aus Scham über ihren falschen Argwohn, sei es aus Freude, errötete.
»Entschuldigen Sie mich!« fuhr sie mit kindlich sanfter Stimme fort. Dann zog sie einen Louisdor aus ihrer Tasche und bot ihn dem Pastetenbäcker.
»Das ist der Preis, den wir abgemacht hatten«, fügte sie hinzu. Es gibt eine Dürftigkeit, welche die Dürftigen erraten. Der Pastetenbäcker und seine Frau blickten einander an und deuteten auf die alte Frau, als wollten sie sich einen und denselben Gedanken mitteilen. Dieser Louisdor mußte ihr letzter sein. Ihre Hände zitterten, als sie ihn darbot; sie betrachtete ihn mit Schmerz, aber ohne Geiz; sie schien den ganzen Wert des Opfers zu erwägen. Fasten und Elend waren ebenso leserlich wie Furcht und Bußübungen in den Zügen ihres Gesichts ausgeprägt. Ihre Kleidung waren die Überreste ehemaliger Pracht. Es war abgenutzte Seide; ein altmodischer reinlicher Mantel, sorgfältig geflickter Spitzenbesatz, die Lumpen der Pracht. Die Bürgersleute, schwankend zwischen Mitleid und Eigennutz, suchten zuerst ihr Gewissen durch Worte zu erleichtern.
»Aber Bürgerin, du scheinst mir sehr schwach.«
»Will Madame irgend etwas zu sich nehmen?« fragte die Frau, indem sie ihrem Manne ins Wort fiel.
»Wir haben sehr gute Fleischbrühe«, sagte der Pastetenbäcker.
»Es ist kalt und Madame wird unterwegs sehr gefroren haben; Sie können sich aber hier ein wenig ruhen und wärmen.«
»Wir sind nicht so schlimm wie wir aussehen!« rief der Pastetenbäcker.
Durch den Ton des Wohlwollens, der in den Worten des mitleidigen Pastetenbäckers lag, gewonnen, gestand die Dame, daß ihr ein Mann gefolgt sei und sie sich fürchte, allein nach Hause zurückzukehren.
»Ist es weiter nichts?« fragte der Mann mit der roten Mütze. »Warten Sie, Bürgerin!«
Er reichte den Louisdor seiner Frau, und indem er jene Art Erkenntlichkeit fühlte, welche einen Kaufmann beseelt, wenn er für mittelmäßige Ware einen außerordentlichen Preis empfängt, warf er sich in seine Nationalgarde-Uniform, nahm seinen Hut, spannte den Hahn und schulterte das Gewehr.
Seine Frau hatte jedoch inzwischen Zeit zum Nachdenken gehabt und darüber war, wie bei vielen Menschen, ihr Wohlwollen geschwunden. Unruhig und befürchtend, ihr Mann könne sich in böse Händel einlassen, suchte sie ihn am Rockschoße zurückzuhalten; der Pastetenbäcker folgte jedoch seinem Gefühl des Mitleids und bot sich der alten Dame zur Begleitung an.
»Der Mann, welchen die Bürgerin fürchtet, scheint noch vor dem Laden umherzuschleichen«, sagte die Frau hastig.
»Ich fürchte es«, antwortete die Dame unbefangen.
»Wenn es ein Spion wäre! wenn es ein Verschwörer wäre! Gehe nicht mit und nimm ihr die Schachtel wieder fort!«
Diese Worte, welche die Frau dem Pastetenbäcker ins Ohr flüsterte, benahmen ihm mit einem Male seinen früheren Mut.
»Aber ich will ihm zwei Worte sagen, um ihn auf der Stelle loszuwerden!« rief der Pastetenbäcker, indem er die Tür öffnete und hinausstürzte.
Die alte Dame setzte sich wie ein geduldiges Kind wieder auf ihren Stuhl.
Bald erschien der ehrliche Kaufmann wieder; sein Gesicht, welches von Natur gerötet und noch überdies von dem Feuer des Backofens erhitzt gewesen war, erschien plötzlich bleich und fahl, seine Beine bebten vor Schreck und seine Augen sahen gläsern wie die eines Trunkenen aus.
»Willst du, daß man uns den Hals abschneide, Aristokratin?« rief er mit vor Wut erstickter Stimme. »Mach, daß du fortkommst, laß dich niemals wieder hier sehen und rechne nicht darauf, daß ich dir die Mittel zu einer Verschwörung in die Hände spielen werde!«
Bei diesen Worten suchte der Pastetenbäcker der alten Dame die Schachtel, die sie in eine ihrer Taschen gesteckt, wieder zu entreißen.
Kaum aber hatte der Pastetenbäcker die Kleidung mit dreister Hand berührt, als die Unbekannte es vorzog, sich schutzlos der Gefahr draußen zu übergeben, als die eingekaufte Ware wieder zu verlieren; mit jugendlicher Schnelligkeit nach der Tür stürzend öffnete sie dieselbe und entschwand den Augen der Frau und
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