Tagebücher der Henker von Paris
Königin vermutete, der Besucher melde ihr den nahen Tod und beeilte sich daher, sie aus diesem Irrtum zu reißen.
»Es ist der Bürger Girard, Pfarrer von Saint-Landry«, sagte er.
Marie-Antoinette schüttelte den Kopf und murmelte:
»Ein Pfarrer! Es gibt kaum noch einen solchen.«
Der Schließer wollte sich entfernen, um sie mit dem Abbé Girard allein zu lassen; aber die Königin befahl ihm zu bleiben.
Gleich darauf beklagte sie sich über Kälte in den Füßen. Der Abbé Girard riet ihr, dieselben in ihr Kopfkissen zu wickeln; sie tat es und dankte ihm für seinen Rat.
Durch die wohlwollende Miene Marie-Antoinettes ermutigt, bat der Abbé Girard sie, den geistlichen Trost, den er ihr bringe, nicht zurückzuweisen, und fügte hinzu, daß, wenn sie irgend Widerwillen gegen seine Person hege, ein anderer Priester, der Abbé Lambert, Generalvikar des Bischofs Gobel, auf dem Flure zu ihrer Verfügung stehe.
Einige Minuten lang betrachtete sie den Abbé Girard, der ein Greis von würdigem Aussehen war; dann dankte sie ihm für seinen Eifer, erklärte aber, daß ihre Grundsätze es ihr nicht gestatteten, die Gnade des Herrn durch eine andere Vermittlung als einen Priester ihrer eigenen Religion zu empfangen. Als der Priester noch auf seiner Bitte bestand und sehr gerührt schien, ersuchte sie ihn mit großer Sanftmut, nicht weiter in sie zu dringen, denn ihr Entschluß sei ebenso unerschütterlich wie ihr Glaube.
Der Abbé Girard zog sich mit Tränen in den Augen zurück, in Begleitung des Abbé Lambert, der kein Wort an die Königin gerichtet hatte.
Charles Henri Sanson hat uns keinen so vollständigen Bericht über den Tod der Königin, wie über den Tod des Königs hinterlassen; die Einzelheiten, welche ich erzählen werde, sind, ebenso wie die vorhergehenden, mehreren Notizen entnommen, die er zum Zweck einer späteren umständlicheren Erzählung niederschrieb oder sind die Früchte der Erinnerungen, welche meine Großeltern von diesen Ereignissen bewahrt hatten.
Charles Henri Sanson ließ den Karren vorfahren und trat mit dem Bürger Gerichtsdiener, den Offizieren, den Gendarmen und meinem Großvater in die Conciergerie.
Die Königin saß im Saale der Toten auf einer Bank, den Kopf gegen die Mauer gelehnt; die beiden Gendarmen, welche sie bewachten, standen einige Schritte von ihr mit dem Schließer Bault; die Tochter des letzteren stand weinend vor Marie« Antoinette.
Als die Königin die Eskorte sah, stand sie auf und wollte den Scharfrichtern entgegengehen, allein eine Bewegung von Baults Tochter verhinderte sie daran; sie blieb stehen und umarmte das Mädchen mit großer Zärtlichkeit.
Sie war weiß gekleidet, ein ebenfalls weißes Umschlagetuch bedeckte ihre Schultern und auf dem Kopfe trug sie eine weiße, mit einem schwarzen Bande befestigte Haube. Sie sah außerordentlich blaß aus; dies war aber nicht die bleiche Farbe, welche eine vergeblich versteckte Furcht verrät, denn ihre Lippen waren rot geblieben und ihre Augen, umgeben von einem breiten Rande, der von ihren schlaflosen Nächten zeugte, glänzten lebhaft.
Mein Großvater und mein Vater hatten das Haupt entblößt; viele der Anwesenden grüßten ebenfalls, nur der Gerichtsdiener Nappier und einige Militärpersonen enthielten sich dieses Zeichens der Hochachtung der großen Unglücklichen gegenüber.
Ehe jemand Zeit hatte, das Wort zu ergreifen, trat Marie-Antoinette vor und sprach in einem Tone, der nicht die geringste Aufregung verriet:
»Ich bin fertig, meine Herren, wir können aufbrechen.«
Charles Henri machte ihr bemerkbar, daß es nötig sei, einige Vorkehrungen zu treffen, und Marie-Antoinette wendete sich um, indem sie ihm ihren Nacken zeigte, von dem das Haar schon abgeschnitten war.
»Ist es so recht?« fragte sie.
Zu gleicher Zeit streckte sie ihm die Hände hin, um dieselben binden zu lassen.
Während mein Vater dies besorgte, trat ein Priester, der Abbé Lothringer, in den Saal der Toten und bat um die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen. Der Abbé Lothringer, ein vereidigter Priester, wie die Abbés Girard und Lambert, hatte sich bereits nach dem Abgange jener beiden vorgestellt, war aber ebenfalls abgewiesen worden, denn die Königin beharrte in ihrem Entschlusse, den Trost einer mit einem Schisma behafteten Religion von sich zu weisen. Die Zudringlichkeit des Priesters schien der Königin sichtlich unangenehm und sie antwortete:
»Wie es Ihnen gefällig ist, mein Herr.«
Der Zug setzte sich unmittelbar darauf
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