Tagebücher der Henker von Paris
in Bewegung.
Die Gendarmen schritten vor der Königin, an deren Seite der Abbé Lothringer sich mit lebhaftem Eifer zu halten suchte; hinter ihr gingen der Gerichtsdiener, der Scharfrichter und andere Gendarmen.
Als Marie-Antoinette in den Hof trat, bemerkte sie den Karren; sie blieb einen Augenblick stehen und ein Ausdruck des Schreckens zeigte sich in ihren Mienen.
Der Priester erriet, welche Gefühle sie bestürmten; in seiner halb deutschen, halb französischen Mundart ermahnte er sie, der Entsagung Christi nachzuahmen, welcher auch sein Kreuz getragen, und indem er von der Buße sprach, bediente er sich des Wortes: Verbrechen.
»Sagen Sie: Fehler, mein Herr«, entgegnete die Königin und schritt dann, ohne weiter auf ihn zu hören, schnell nach dem Karren.
Um ihr das Einsteigen zu erleichtern, hatte man einen Schemel hingestellt; dieser Schemel schwankte einen Augenblick, als sie den Fuß darauf setzte; nachher dankte sie denen, welche sie unterstützt hatten.
Die Türen öffneten sich; die Königin erschien in der Mitte der düsteren Geleitschaft. Sogleich begann das auf den Kais und den Brücken angehäufte Volk wie ein unruhiges Meer zu schwanken und ein tausendfaches Geschrei von Verwünschungen und Todesdrohungen auszustoßen.
Die Menge hatte sich so dicht zusammengedrängt, daß der Karren nicht vorwärts zu bewegen war; das erschrockene Pferd bäumte sich in den Schwangbäumen; es entstand ein Augenblick so schrecklicher Verwirrung, daß mein Vater und mein Großvater, welche vorn auf den Karren saßen, aufstanden und sich vor Marie-Antoinette stellten. Auf einigen Punkten drangen die Wütenden durch die Reihe der Eskorte und die meisten Gendarmen unterstützten ihre Beleidigungen mit eigenen Schimpfwörtern, anstatt die aufgeregte Menge zurückzudrängen und ihren übertriebenen Haß zu besänftigen.
Nourry, Grammonts Sohn, wie sein Vater Offizier in der Revolutionsarmee, war feige genug, die geballte Faust drohend gegen das Gesicht der Königin zu erheben. Der Abbé Lothringer stieß ihn jedoch zurück und warf ihm mit heftigen Worten das Unwürdige seiner Handlung vor.
Dieser Auftritt dauerte zwei oder drei Minuten.
Niemals – dies wiederholte mir mein Vater oft – hat sich Marie-Antoinette ihres hohen Ranges würdiger gezeigt. Sie war eine wahrhafte Königin, diese Frau, welche ohne sich zu entfärben oder die Augen niederzuschlagen, die wilden Blicke des souveränen Volkes aushielt; ohne zu zittern das Brüllen des Löwen hörte, dem man sie zur Beute vorwarf; die wie der römische Cäsar, sich aufrechthielt, ohne das Knie zu beugen; für welche der scheußliche Karren noch ein Thron war und der es sogar in der Erniedrigung, zu der man sie gebracht, gelang, durch die Kraft ihrer Seele des Mitleids unfähige Herzen zur Ehrfurcht zu nötigen.
Grammont, der Vater, war mit einigen Reitern vorauf geritten und es gelang ihm endlich, einen Durchgang für den Zug zu gewinnen. Als sich darauf der Karren wieder in Bewegung setzte, verminderte sich der Lärm und man hörte nur von Zeit zu Zeit noch den Ruf unter der Menge: »Tod der Österreicherin! Tod der Madame Veto!« Sobald aber der Wagen die Rufenden erreichte, schwiegen sie.
Marie-Antoinette stand aufrecht in der Mitte des Karrens; der Abbé Lothringer, der sich auf die rechte Wagenleiter stützte, sprach zu ihr mit mehr Lebhaftigkeit als Salbung; sie antwortete ihm indes nicht und schien nicht einmal auf ihn zu hören.
In dem Maße, wie die Haltung der Volksmenge, an der sie vorüberkam, ruhiger wurde, verloren auch ihre Augen den leuchtenden Glanz und schweiften gleichgültig über die Menge und ihre Bewegungen.
Als sie an dem Palais Egalité vorüber war, schien sie unruhig zu werden und blickte auf die Nummern der Häuser mit einem Ausdruck, der mehr als Neugierde verriet.
Die Königin hatte vorausgesehen, daß man keinem Priester der römischen Kirche gestatten würde, ihr den letzten Trost der Religion zu spenden; sie hatte sich darüber beunruhigt, und ein nicht vereidigter Geistlicher, der Abbé Magnien, der zu Richards Zeit in die Conciergerie gelangt war, hatte ihr versprochen, sich an ihrem Todestage in einem Hause der Straße Saint Honoré einzufinden und über ihrem Haupte die Absolution in extremis auszusprechen, zu welcher die Kirche auch ihre niedrigsten Diener bevollmächtigt. Die Nummer dieses Hauses war Marie-Antoinette angezeigt und diese suchte sie; sie fand dieselbe und als sie auf ein Zeichen, das nur ihr
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