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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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Verurteilten durch die Hand des Henkers verbrannt werden sollte.
    Man verließ die Conciergerie um Dreiviertel auf zwölf Uhr. Als der Karren auf den Kai hinauskam, wurde er mit betäubendem Geschrei begrüßt und von einer Volksmenge umringt, in welcher mein Großvater den Heerbann und das Aufgebot der gewöhnlichen Besucher des Revolutionsplatzes erkannte. Die Kriegsschar der Kannibalen war durchaus vollständig; jener Auswurf des weiblichen Geschlechts, den man mit dem Namen »Guillotineablecker« gebrandmarkt hatte, machte sich durch seine Kühnheit und durch seinen übertriebenen Haß bemerkbar.
    Bis zum Revolutionsplatze jedoch bekundete sich die Wut des Volkes nur durch Beleidigungen und Drohungen; man warf nicht gegen den Karren.
    Bailly saß und unterhielt sich mit meinem Großvater mit unglaublicher Ruhe und Freiheit des Geistes. Er sprach von allem, nur nicht von sich. Er befragte Charles Henri über die letzten Augenblicke der früher Hingerichteten, Custines, der Charlotte Corday und der Königin; bald darauf fragte er ihn über die Einkünfte seines Amtes, und zwar mit solcher Ruhe, als ob er in seinem Kabinett im Stadthause säße und als Magistratsbeamter einen seiner Untergebenen zu vernehmen hätte.
    Als der Wagen die Höhe der elyseischen Felder erreicht hatte, kam ein Gehilfe nachgelaufen. Die Zimmerleute hatten in der Eile einige Bohlen vergessen, welche zum Fußboden des Schafotts verwendet werden sollten. Man mußte wieder umlenken und diese auf den Karren laden, auf welchem sich der Verurteilte befand.
    Dieser Halt war nicht ohne Gefahr. Bailly war abgestiegen. Zweimal machte die Menge den Versuch, sich auf ihn zu stürzen, aber die Gendarmen benahmen sich mutig und gefaßt und es gelang ihnen, die Anstürmenden zurückzutreiben.
    Der Zug setzte sich endlich wieder in Bewegung, aber die Stücke Holz, welche sich auf dem Wagen befanden und von den Stößen erschüttert wurden, waren dem armen Bailly durchaus hinderlich. Mein Großvater schlug ihm vor, zu Fuß zu gehen und er nahm es an. Man stieg ab. Der Weg war so schlecht, daß die Männer der Geleitschaft sich weiter voneinander trennten. Die Menge, welche nicht den gleichen Widerwillen gegen den Schmutz hatte, benutzte dies, um sich dem Delinquenten zu nähern; durch diese fast unmittelbare Berührung steigerte sich ihre Wut zur Raserei und das Geschrei nahm eine doppelte Kraft an.
    Man hatte noch nicht zweihundert Schritte zurückgelegt, als ein Taugenichts von etwa fünfzehn Jahren den Rock, welchen Bailly über seine Schultern geworfen hatte, herabriß; durch den heftigen Ruck fiel der Unglückliche rückwärts. In einem Augenblick war der Rock in tausend Fetzen zerrissen und die, Wütenden machten nochmals den Versuch, sich des Verurteilten zu bemächtigen, der nur von dem Scharfrichter und seinem Gehilfen umgeben war. Noch einmal wurde er durch das Einschreiten der Gendarmen gerettet.
    Mein Großvater ließ ihn eilig wieder auf den Karren steigen, aber der Antrieb war einmal gegeben; die Elenden, welche sie umgaben, waren entweder des Geheuls müde oder fühlten den Durst nach einer befriedigenderen Rache: sie begannen einen Hagel von Wurfgeschossen aller Art auf den Delinquenten regnen zu lassen. Mein Großvater gab Bailly den Rat, sich auf die Bohlen zu setzen; kaum aber bemerkte die Menge ihr Schlachtopfer nicht mehr, als sie ihr Geschrei verdoppelte und abermals mit Steinen warf.
    Bailly stand auf und sagte zum Scharfrichter:
    »Euer Rat ist entschieden schlecht, man muß immer dem Sturm die Spitze bieten.«
    Als Charles Henri sich beklagte und gegen die Menge eiferte, fügte er hinzu:
    »Es wäre verdrießlich, wenn man gelernt hätte, siebenundfünfzig Jahre mit Ehren zu leben und nicht verstände, eine Viertelstunde lang mutig zu sterben.«
    Der Weg wurde ziemlich schnell zurückgelegt; es war halb zwei Uhr, als man auf dem Bundesfelde ankam. Das Schafott war errichtet und von drei- bis viertausend Menschen umringt. Es waren meistens Bewohner von Gros-Caillou und von Grenelle; darunter befanden sich aber in erster Reihe einige jener kräftigen Gestalten, die man bei allen Volksbewegungen findet; diese Individuen warteten wahrscheinlich auf den Zug, denn sie halfen den Ankommenden die Neugierigen zurücktreiben um sich um die Guillotine zu stellen.
    Die Befürchtung Charles Henris vergrößerte sich mehr und mehr. Als er sah, wie sich diese Menge hinter dem schwachen Geleit schloß, begriff er, daß der Delinquent allen jenen

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