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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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junge Leute, eine halb wilde und halb kindische Prahlerei darein setzten, sich mit den auffallendsten Stücken des Schafotts zu beladen und die Menge mit dieser entsetzlichen Last zu durchschreiten; das ganze Zimmergerüst wurde jedoch auf zwei auf dem Platze befindlichen Karren fortgeschafft.
    Herr von Lamartine folgte mehr seinem poetischen Antriebe als der weisen Mäßigung des Geschichtschreibers, wenn er erzählt, man hätte Bailly gezwungen, die Erde zu belecken, wo das Blut des Volles geflossen sei.
    Wählend der drei Viertelstunden, welche zwischen der Ankunft auf dem Bundesfelde und der Hinrichtung verliefen, hatte der arme Märtyrer freilich grausamen Schimpf zu erleiden; das Einschreiten derjenigen, welche die Pflicht hatten, ihn zu schützen, war allerdings nicht immer wirksam; aber der einmal begonnene brutale Angriff erneuerte sich nicht mehr; neben jenen Individuen, welche den Auftrag zu haben schienen, die scheußlichen Triebe des Pöbels anzureizen, befanden sich mitten unter dieser Menge auch Männer von Herz, welche jenen Greueln nachdrücklich entgegentraten.
    Warum soll man die Wahrheit noch übertreiben, wenn sie schon betrübend genug ist? Das Leben eines tugendhaften Mannes, welches zum Spielzeug und zum Gelächter einiger Wahnsinnigen geworden ist, der Anblick dieses großen Bürgers, dessen Vorsitz an einem berühmten Tage ihn der Achtung ganzer Generationen empfahl, ohne Verteidigung den wilden Leidenschaften des niedrigsten Pöbels der Welt anheimgegeben; ein Unglücklicher, der da Hingetrieben wird, das Schafott als die wohltätigste Einrichtung menschlicher Satzungen anzusehen, ist dies nicht genügend, um eine Einbildungskraft, welche das Schrecklichste sucht, zu befriedigen?
    Bailly war an das äußerste linke Ende des Bundesfeldes nach der Flußseite hin geführt worden; dort wurde nach langem Hin- und Herreden zwischen den Rädelsführers das Schafott in dem Graben, welcher die Einschließung umgab, aufgerichtet.
    Es fiel ein feiner und eisiger Herbstregen. Bailly hatte nichts mehr auf dem Leibe als sein zerfetztes Hemd, welches stellenweise sein verwundetes Fleisch sehen ließ. Er schauderte und klapperte mit den Zähnen. In diesem Augenblick sagte einer der Männer, die sich um ihn drängten:
    »Du zitterst, Bailly?«
    Darauf gab er die berühmte Antwort:
    »Mein Freund, ich zittere nur, weil mich friert.«
    Die Einfachheit und Sanftmut, mit der er diese Worte sprach, war noch erhabener als die Antwort selber. So viele Angriffe und Qualen hatten seinen Mut noch nicht erschüttert; aber seine Kräfte fingen an, ihn zu verlassen, er wurde sichtlich schwach. Erlag denn also diese starke Seele im Kampfe? War es der schwache, erschöpfte, von der Kälte gelähmte Körper, der ihrem Willen Widerstand leistete? Bailly lehnte den Kopf zurück, schloß die Augen und glitt wie ohnmächtig in die Arme des Gendarmen und Scharfrichters, indem er wiederholt die Worte murmelte:
    »Gebt mir zu trinken, zu trinken!«
    Irgend jemand, ich nehme Anstand, ein solches Ungeheuer näher zu bezeichnen, warf ihm in diesem Augenblick flüssigen Kot in das Gesicht. Diese Handlung empörte selbst die Herzen, die sich bis dahin steinern gezeigt hatten: sie wurde mit einem allgemeinen Schrei des Unwillens aufgenommen. Einer der Zuschauer lief nach dem Schafott und brachte eine Flasche, in welcher sich ein wenig Wein befand. Diesen flößte er in Baillys halbgeöffnete Lippen; er kam wieder zu sich und sprach: »Ich danke« mit seinem bewundernswerten Lächeln, dem Lächeln des wahrhaften Menschenfreundes, sagte mein Vater, mit einem Lächeln, das man niemals wieder vergißt, wenn man es einmal gesehen hat.
    Während Baillys Ohnmacht hatte sich die Volkswut gelegt; nur noch einmal zeigte sie sich in dem Augenblick, als man ihn in den Graben zur Guillotine hinabsteigen ließ, aber mit geringer Heftigkeit.
    Das Volk wurde bereits eines schönen Todes müde. Vielleicht schien ihm die Sündhaftigkeit der Opfer die höchste Verachtung gegen die Macht, worauf es sich soviel einbildete, auszudrücken. Vielleicht hatte jene unerschütterliche Gleichgültigkeit gegen den von allen Menschen gefürchteten Augenblick etwas übermenschliches, das seine Einbildungskraft nicht enträtseln konnte? Der gewöhnliche Tod, wobei der Delinquent sich, sei es aus Schwäche, sei es aus Furcht, dem gemeinsten seiner Mitmenschen nähert, fand viel leichter als jener den Weg zum Mitleid der Menge. Sie war ohne Mitgefühl gegen Bailly, der

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