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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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Männern preisgegeben sei und daß es die Menschlichkeit geböte, ein schnelles Ende mit ihm zu machen, um ihm schreckliche Qualen zu ersparen. Er drängte seine Arbeiter, so schnell wie möglich die Bohlen des Fußbodens zusammenzulegen; inzwischen aber wurden die Schimpfreden und abgeschmackten Witze in Rufe verwandelt, die sich nicht mehr gegen Bailly, sondern gegen den Scharfrichter richteten; letzterer wurde zu gleicher Zeit von etwa zwanzig der erwähnten Rädelsführer umringt und sie erklärten ihm, der Boden, der das Blut der Märtyrer getrunken hätte, dürfe nicht von dem Blute eines Verbrechers besudelt und Bailly nicht auf dem Bundesfelde hingerichtet werden. Mein Großvater stellte ihnen die Befehle, die er erhalten, entgegen.
    »Was für Befehle?« fragte einer jener Männer, »das souveräne Volk, dein Herr, hat allein das Recht, dir Befehle zu erteilen; gehorche!«
    Als Charles Henri einen Offizier der Gendarmen herbeirief, um sich mit ihm zu beraten, rief ein anderer:
    »Du kannst das Kriegsgesetz verkünden, denn du hast die rote Fahne und Bailly unter der Hand; was uns betrifft, so werden wir die Guillotine an den wahren Ort bringen; wir nehmen das Geschäft auf uns, Tagedieb!«
    Man hörte ein lärmendes Beifallsgeschrei und es folgte ein Auftritt unbeschreiblicher Verwirrung.
    Die Gendarmen hatten sich zerstreut; Leute aus dem Volke gaben ihnen zu trinken, unter dem Vorwande, sich mit ihnen zu verbrüdern; andere halfen den Zimmerleuten die Guillotine abbrechen. Mein Großvater war von dem unglücklichen Bailly getrennt worden, den eine Flut des bewegten Meeres fortgerissen hatte, und nur mit großer Mühe konnte er wieder zu ihm gelangen. Von diesem Augenblick an begann erst die traurige Todesqual des ehrwürdigen Gelehrten.
    An dem Schmutz, der sein Hemd und sein Gesicht besudelte, und aus einer Wunde auf seiner Stirn, aus welcher einige Tropfen Blut rieselten, konnte man deutlich sehen, daß die Wut jener Wilden sich soweit vergessen hatte, ihn zu schlagen. Alles, was der Wahnsinn der Wut an Verwünschungen erfinden kann, hatten ihm die von Galle berauschten Megären in das Antlitz gegeifert; die Männer waren nicht weniger erbittert; einige erhoben die Faust gegen den Unglücklichen, dessen Hände gebunden waren; andere langten mit einem Stock über die Köpfe ihrer Nachbarn, um ihn zu treffen.
    Bailly hatte seine gleichmäßige Ruhe bewahrt, aber sein Antlitz war sehr bleich. Sobald er Charles Henri erkannte, rief er ihn mit seinen Blicken; der arme Bailly sah keinen anderen Freund, als seinen Henker. In dem Augenblick, als dieser zu ihm trat, sagte er:
    »Ach, ich hoffte früher zu Ende zu kommen!«
    Einer der Gehilfen war bei dem Verurteilten geblieben, der andere verschwunden. Zwei edelmütige Bürger, ein Regimentsquartiermeister namens Beaulieu und ein Gendarm namens Lebidois, schlossen sich dem Gerichtsgefolge an; mit ihrer Hilfe gelang es wenigstens, die ferneren Mißhandlungen zu verhindern. Beaulieu redete die Menge an; er schmeichelte geschickt ihrem Rachedurst, stellte aber zu gleicher Zeit vor, daß die Nation den Verurteilten ihren Beamten anvertraut habe und daß nur ein schlechter Bürger einen anderen Bürger an der gerechten und gesetzmäßigen Ausübung seines Amtes hindere. Einige der Wütenden versuchten Beaulieu zu unterbrechen und ihm mit spöttischem Gelächter zu antworten; seine starke und tönende Stimme war aber in den ferneren Reihen gehört worden, und fand einen Widerhall in rechtschaffenen Herzen; man rief ihm Beifall zu und die Elenden schwiegen auf einige Augenblicke.
    Beaulieu sah ein, daß es gefährlich sei, auf dem Platze zu bleiben; in der Hoffnung, sich von den unheilverkündenden Gestalten, welche ihn umgaben, freizumachen, namentlich die Menge abzulenken, schlug er vor, Bailly selber den Ort des Schafotts wählen zu lassen. Diesem Gedanken pflichtete man mit Begeisterung bei und begab sich sogleich auf den Weg. Beaulieu hielt einen Arm des Verurteilten, Charles Henri den anderen; der Gendarm und der Gehilfe gingen unmittelbar hinter ihm.
    Dieser Zug hat zu der Fabel Veranlassung gegeben, daß das Schlachtopfer zu einem Spaziergange um das Bundesfeld gezwungen worden sei. Es ist falsch, daß man Bailly genötigt habe, die Bretter der Guillotine auf seinem Rücken zu tragen. Wie schon gesagt, wurde die Maschine von den Arbeitsleuten meines Vaters und unter Hilfe von Leuten aus dem Volke abgebrochen. Es ist wahr, daß einige Männer, und namentlich

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