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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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als mein Großvater bei ihm eintrat; als er ihn bemerkte, runzelte er die Stirn, seine Augenbrauen zogen sich zusammen, und er sprach, einen Beinamen gebrauchend, der schon aus der Mode war:
    »Ah, Schurke, ich glaubte dich noch dahin schicken zu können, wohin du mich führen willst.«
    Er war bleich, fieberhaft aufgeregt, seine Hände zitterten, seine kleinen Augen rollten in ihren Höhlen, aber dennoch aß er mit einer Hastigkeit, die man für Eßlust hätte halten können. Er erklärte Charles Henri Sanson, daß er seine Mahlzeit zu beendigen gedächte; dann kam er ohne weiteren Übergang auf seine Verurteilung zu sprechen, die er eine Ungerechtigkeit nannte, und, sich über die Richter auslassend, bezeichnete er sie mit dem Beinamen »Mörder«, der ihm selber so oft beigelegt worden war. Mein Großvater, sagte er, sollte sich nur darauf gefaßt machen, nächstens ebenfalls vor dem Tribunal zu stehen und von dort auf die Guillotine zu steigen.
    »Wenn man den Ankläger verurteilt,« sagte er, »so ist kein Grund, nicht auch den Scharfrichter zu verurteilen, der ganz ebenso strafbar ist wie jener.«
    Fouquier überließ sich der Heftigkeit seiner Empfindungen und berührte nicht mehr die Lebensmittel, welche auf dem Tische standen; mein Großvater bemerkte ihm, es sei nötig, daß er seine Mahlzeit beendige, weil seine Augenblicke gezählt seien. Darauf geriet Fouquier in den heftigen Zorn, den der Scharfrichter längst an ihm kannte; er warf ihm vor, daß er niemals so eilig gewesen sei, wenn es sich darum gehandelt habe, Royalisten zur Hinrichtung zu führen, und in dem befehlerischen Tone, in welchem er ihn so oft gescholten hatte, drückte er seinen Unwillen darüber aus, daß der Henker es wage, ihm Befehle zu erteilen. Mein Großvater wollte seine Lage nicht noch trauriger machen und ihn zu der Einsicht zwingen, daß die Rollen jetzt sehr geändert wären; er schwieg und wartete.
    Das Volk war gegen Fouquier-Tinville noch strenger, als es gegen Carrier gewesen war. Die Ereignisse vom Germinal und Prairial, auf die ich sogleich zurückkommen werde, hatten den Haß gegen die Demagogenpartei aufs äußerste getrieben. Noch vom Kampfe aufgeregt, trunken von dem kürzlich errungenen Siege, angesichts dieser lebenden Vertreter der gehässigsten Eigenschaften des gestürzten Systems verstanden die Gemäßigten es nicht, großmütig zu sein. Die Haltung der Verurteilten, namentlich die Fouquiers, konnte auch wenig dazu beitragen, die Erbitterung der Menge zu mildern: durch ihre Blicke und Worte schienen sie dem Volke Trotz zu bieten; auf Schimpfworte antworteten sie mit Schimpfworten, auf Beleidigungen mit Beleidigungen, auf Verwünschungen mit Flüchen. Alles, was das Wörterbuch der Markthallen an Grobheiten aufzubieten vermag, ging von den Reihen der Zuschauer nach den Karren und von den Karren nach den Reihen der Zuschauer zurück. Man hörte, wie Fouquier auf die schreckliche Hungersnot, welche Paris zur Verzweiflung brachte, anspielte und den Männern des Volkes zurief:
    »Dumme Kanaille, die vor Hunger stirbt, gehe doch in die Sektion und hole dir deine vier Unzen Brot, ich habe mir meinen Bauch vollgegessen!«
    Doch am Fuße des Schafotts schien dieses Granitherz plötzlich und zum ersten Male von Reue erfaßt. Er war bleich geworden, und dieser starre und strenge Blick, vor welchem die Entschlossensten die Augen niedergeschlagen hatten, floh jetzt die Blicke seiner Umgebung. Man sah ihn zittern, von krankhaftem Beben erfaßt, man hörte ihn unzusammenhängende Sätze murmeln, aus denen man den Ausruf: »Lebe wohl!«, welchen er mehrere Male wiederholte, unterschied. Herman, Scellier, Renaudin waren mit Festigkeit gestorben. Als Fouquier an die Reihe kam, auf das Schafott zu steigen, glaubte man, er würde ohnmächtig werden. Endlich fiel sein Kopf unter dem Beile und wurde dem Volke gezeigt.
Ende der Bergpartei
Aufruhr im Konvent; Feraud; Tinette; die sechs Repräsentanten.
    Das Revolutionstribunal war die Lebenskraft der Partei gewesen, die sich durch den Schrecken Geltung verschafft hatte; es diente diesem System zur Basis, welches ohne Zweifel den Heldenmut erleichterte und verallgemeinerte, zur selben Zeit aber auch den Massen das Laster der Furcht einimpfte und sie für die Tyrannei bereitete, von welcher man sie hatte befreien wollen. Indem die Neuerer die scheußlichen Niedermetzelungen der Besiegten an die Stelle der Justiz setzten, die doch immer die notwendigste Grundlage für jede moralische und

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