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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Sanson
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den Polizeisoldaten hundert Guineen, wenn sie sich des berüchtigten Cartouche würden bemächtigen können, gegen den der edle Lord eine wahrhaft britische Erbitterung an den Tag legte, dann empfahl er sich seinem Wirte, der ganz glücklich über die neue und angenehme Bekanntschaft war, dieselbe durchaus an den Wagen begleiten wollte und, auf der Schwelle stehenbleibend, eine Weile die prächtige Equipage, wie sie davonrollte, betrachtete.
    Aus dieser Betrachtung riß ihn das Geschrei seines Dieners, der bei seiner Rückkehr in den Speisesaal bemerkt hatte, daß alles Silberzeug von der Tafel genommen sei.
    Cartouche – denn er war es gewesen – hatte seine Rolle so gut gespielt, daß der Leutnant noch seinen Besucher gegen die Anschuldigungen seiner Leute verteidigte und versicherte, er habe sich nicht einmal der Tafel genähert. Aber einige Soldaten, die gerade über den Hof gegangen waren, hatten die beiden Leute des vornehmen Fremden sich nachlässig gegen die offenen Fenster lehnen sehen; die Tafel war nur wenige Schritt davon entfernt, und es wurde nun sehr wahrscheinlich, daß, während der falsche Engländer die ganze Aufmerksamkeit des Herrn Leutnants zu fesseln wußte, die großen Lakaien, nur die Arme auszustrecken brauchten, um reinen Tisch zu machen.
    Eine kurze Weile später wurden diese Vermutungen zur Gewißheit, denn ein Kommissionär brachte dem Herrn Leutnant ein Dutzend Löffel und Gabeln von schönem Zinn, damit er seinen Verlust dadurch ersetzen könne.
    Der hervorspringende Zug in allen Unternehmungen Cartouches ist der geistreiche Scherz, der sie fast immer begleitet. Der Dieb begnügt sich nicht damit, seine Opfer zu berauben, sondern zieht sie noch soviel als möglich auf. Das ist auch ein Geheimnis seines großen Rufes; er begriff recht gut, daß ihm viel verziehen werden würde, wenn er die, denen er Furcht machte, auch amüsierte.
    Charles Sanson sah Cartouche am 27. Oktober zum erstenmal. Er war im Châtelet, und eine ansehnliche Menschenmenge drängte sich vor der Tür des Gefängnisses. Jedermann wollte sagen können: »Ich habe ihn gesehen!« Und die Erlaubnis, den Banditen besuchen zu dürfen, wurde wie gewöhnlich als eine hohe Gunst gesucht. Die Frauen zeigten sich am neugierigsten auf dieses unmoralische Wild; die Mätresse des Regenten, Frau von Parabere, wollte trotz der grausamen Erinnerung, die ihr dies erwecken mußte, als eine der ersten die Züge dieses Menschen betrachten, dem man ebensoviel Glück als Verbrechen zuschrieb. Sie kam, als Grisette verkleidet, nach dem Châtelet, begleitet von den Herren de Nocé und de Fresnel.
    Infolge eines Fluchtversuches, der nicht mit Erfolg gekrönt wurde, brachte man Cartouche in die Conciergerie.
    Cartouches Prozeß zog sich nicht in die Länge. Am 26. November erließ der Gerichtshof seinen Spruch.
    Am 27. morgens erlitt Cartouche die Tortur. Ein Bruchschaden, den die Ärzte bei ihm feststellten, ersparte ihm die Tortur des Wippens; die der spanischen Stiefel dagegen litt er bis zum achten mit außerordentlicher Festigkeit und Ruhe; er weigerte sich, irgendein Geständnis zu machen.
    Als man ihn wieder auf die Matratze gelegt hatte, brachte man ihn in die Kapelle der Conciergerie, wo der Pfarrer von Saint-Barthélemy, der ihn auf das Schafott begleiten sollte, sich bemühte, diese verstockte Seele zu rühren.
    Während diese traurige Szene in der Torturkammer vorging, hatte der Zimmermann Befehl erhalten, auf dem Gréveplatze fünf Räder und zwei Galgen aufzurichten.
    Das Gerücht von der Hinrichtung Cartouches und seiner Genossen hatte sich in der Stadt verbreitet; der Grèveplatz und die anstoßenden Straßen waren daher gedrängt voll Menschen, und die Fenster waren zu ansehnlichen Preisen vermietet worden. Fünf Geräderte und zwei Gehängte – das war ein vollständiges Fest!
    Um zwei Uhr nachmittags traf aber der Befehl ein, vier Räder und einen Galgen wieder abzunehmen; der, welcher stehenblieb, war bestimmt, daran
in effigie
einen gewissen in contumaciam Verurteilten namens Le Camus zu hängen.
    Gegen vier Uhr begab sich Charles Sanson mit seinen Knechten nach der Conciergerie.
    Unterwegs zeigte Cartouche, der hinten in dem Karren so ausgestreckt lag, daß er den Rücken gegen die Bank stützte, auf der der Scharfrichter saß, große Unruhe. Ein paarmal versuchte er sich umzuwenden, um vorwärts blicken zu können, aber dies gelang ihm nicht.
    Endlich konnte er es nicht mehr aushalten und fragte Charles Sanson, ob die

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