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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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einigen, das gibt es nicht.»
    2. Februar
    Retour vom Sonnen-Luxus-Gefängnis: Stadtleben.
    Dienstag abend gleich ins Theater, mein Interesse reichte aber nur bis zur Pause: «Ritter, Dene, Voss», eine Parade-Nichtigkeit für diese 3 Schauspieler (die auch brillierten) von Thomas Bernhard; mein Mißtrauen gegen diesen Autor nur verstärkend. Ist im Grunde nur ein Literatur-Clown, ein Kabarettist – der in diesem Fall 3 Stars je 1 Monolog auf den Leib geschrieben hat; während der jeweils perfekt exekutiert wird, müssen die je anderen beiden mit den Fingern knacken.
    Gestern abend bei Wunderlich: herrlicher Abend, wir stürzten wie zwei Ertrinkende auf-, ineinander, ins Gespräch. Das «Hauptthema» – ob positive Veränderung der Geschichte NUR durch Blut zu erwirken sei; gleichsam wie eine Geburt nicht ohne Dreck, Qual, Schmerz und Blut möglich ist – bietet ja auch endlose Variationen. Er arbeitet nun, von mir angesteckt und angestiftet, an Lithographien zum Thema Französische Revolution und ergötzte sich an meinen zahllosen Details, die ich z. T. schon per Telefax aus Gran Canaria an ihn durchgegeben hatte. Ihm geht’s wie mir: Mit wem kann man sich schon so gut – auch lachend – unterhalten? Einer von uns beiden wird ja zuerst sterben – für den übrigbleibenden «Witwer» wird’s schwer …
    6. Februar
    Sonntag morgen Maria-Wimmer-Matinee, sie liest Proust. Mir ergeht es sonderbar: Bis auf den sehr eindringlichen Tod der Großmutter (und den Traum des Erzählers) fand ich es sehr zierlich, jugendstilig, KEINE GROSSE LITERATUR, sondern geschmäcklerisch überladen. Die berühmte Hecken-Passage geradezu Dienstmädchen-Roman-haft.
    Abends eine neue CD, Wagner ohne Gesang. Derselbe Reinfall: Meine Hoffnung, die musikalischen Strukturen eindringlicher, reinlicher, klarer hören (und verstehen) zu können ohne das Gekreisch der Tenöre, ging nicht auf; ich fand es schaukelnde, zu harmonische, glatte Musik.
    Zwei frevelhafte Eindrücke/Urteile.
    13. Februar
    Abends Klaus von Dohnanyi, der ja gegenüber am Leinpfad wohnt: fängt mich ab, als ich spätabends spazieren gehen wollte, weil ich in meinem Manuskript über die Französische Revolution stockte, nicht weiterwußte: «Kommen Sie doch rein auf einen Sherry.» «Drin» mußte ich seine Lektionen/Belehrungen anhören.
    Diese ausgedienten Politiker, die mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen, vor lauter Langeweile schreiben sie Bücher; das ist immer das Letzte, was ihnen einfällt, aber sie sprechen noch immer besserwisserisch und ex cathedra . Er klopft Sprüche wie «Ich habe null Entzugserscheinungen» oder: «Als ich neulich meiner Frau zu Weihnachten einen Leuchter kaufte, sagte der Ladeninhaber: ‹Sie hätte ich wiedergewählt.›»
    Sie beteuern so laut, daß sie gerne und freiwillig weg vom Amte sind, daß man die Lüge HÖRT.
    Wie ich in puncto Feuilleton-Leitung?
    22. Februar
    Ein trauriges Telefonat mit Brasch, dessen Vater nach der Mutter – an Krebs stirbt, der ohne Frau/Freundin lebt und zum ersten Mal in weichen Tönen – offenbar ist sie ihm weggelaufen – von Gefühls-Bedürfnissen redet; der seinen Nicht-Erfolg schlecht verkraftet: Der Film ist geräuschlos verschwunden, neue Angebote nicht in Sicht; das letzte Stück, nirgendwo rezensiert, hatte bei Tabori 2 Aufführungen in Wien, keine deutsche Bühne spielt es nach. Seine Wut auf Theaterfürsten wie Zadek verständlich – nur, wenn er mir im selben Atemzug erzählt, die Thalbach mache bei Flimm eine «Mann ist Mann»-Regie und verschaffe ihm da einen Mitarbeiter/Bearbeiter-Vertrag: Was ist das anderes? Was muß Brecht von Herrn Brasch «bearbeitet» werden?
    3. März
    Sprachlosigkeit (und selfconcern ) fressen sich in die Gesellschaft wie ein Krebs.
    Gestern abend bei Grass – erloschen, bitter, an NICHTS außer an sich interessiert, fragt nicht mal höflichkeitshalber, woran man eventuell arbeitet, zeigt Fotos vom portugiesischen Haus (wie ein Mallorca-Rentner seine Dias), das für ihn offenbar ein Floß der Medusa geworden ist: «Hätte ich das jetzt nicht, müßte ich außer Landes gehen.» Verwindet auf keine Weise, «was mir in diesem Lande angetan wurde». Selbst die Rushdie-Affäre (wo nun auch noch ein völlig überraschender Angriff auf Enzensberger in der ZEIT steht) ist nur Vorwand, von sich und eigenen Nöten zu reden: Grass holt als erstes ein – offenbar parat liegendes – Artikelchen von Rushdie, das der in der ‹Frankfurter Rundschau› über seinen 60.

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