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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Kommentare (keine Weinerlichkeit). Mal sehen, wie lange das geht.
    Ab heute steht mein Name nicht mehr im Impressum der ZEIT.
    Hauptüberschrift der WELT heute: «Amerikanische Kampfbomber schießen libysche MIG-23 ab.» Letzter Satz des Berichts: «An den Weltdevisenmärkten ist nach Bekanntwerden der Aktion der Dollarkurs um knapp einen Pfennig auf 1,7850 Mark GESTIEGEN.»
    Jürgen Manthey schreibt mir (auf eine verwunderte Anfrage von mir vor MONATEN, wegen eines diffamatorischen Interviews in der WAZ anläßlich meiner Vorlesungen in Essen): «Ein Interviewer der WAZ MUSS einfach irgendwo einen kritischen Satz über Raddatz einfügen, das ist er sich und den anderen schuldig.»
    Als ich im FAZmagazin-Fragebogen seinerzeit – immerhin – «bekannt gab», ich werde mich eines Tages umbringen, hieß es nur und ganz allgemein: «Das war der witzigste Fragebogen seit langem.»
    8. Januar
    Karsten Witte zum Tee. Ent-flaust, weniger zierlich, ernster: der Tod. Schien mir auch magerer – die Krankheit?
    Hochhuth heute in der WELT (!!! nach Walser und Kroetz …): «Nicht einmal unter den Nazis war das Kulturleben hierzulande dermaßen korrupt wie heute.» Nun ist er endgültig verrückt geworden.
    Maspalomas Oasis, Gran Canaria, den 12. Januar
    3. Tag meiner napoleonischen Selbstverbannung: Hotel 1. klassig (nach 4maligem Umzug gutes Zimmer, Leuchtturm, hinter dem soeben die Sonne untergeht). Bisher kein Wort gesprochen: morning swim , Frühstück, lesen, ½ Stunde Spaziergang am Strand, lesen, Kaffee, Besorgungen, frühes Dinner, mit Adumbran ins Bett –.
    Der parkartige Garten seltsam durch die Tiere: Sind Pfauen so eitel, daß sie wissen, wann sie (z. B. morgens vor den Gästen) ihr Rad schlagen? Vorhin «vergewaltigte» ein mächtiger weißer Erpel eine Ente – und drei Entenfrauen kamen zu Hilfe, bissen in seinen Kopf, ihn schließlich in die Flucht, während 2 riesige Kaninchen und 1 Pfau «neugierig» zusahen; «denken» sie dabei was? Die Entendamen hielten ein mächtiges Geschnatter ab und zogen gemeinsam «stolz» davon …
    Maspalomas Oasis, Gran Canaria, den 17. Januar
    Eine Woche hier – das Unvergnügen in mich eingegossen wie Beton in die Eingeweide; die – typisch? – streiken, nachdem ich gestern das 1. Mal aushäusig aß. Die Schnecke soll (und will) ihr Haus nicht verlassen.
    «Außen-Erfahrungen» machen geradezu angst: mein erster Ausflug in die schwulen Dünen erfolggekrönt, Verlockung, Lockung durch einen palmschönen Knaben. Aber ich laufe davor weg – und bin «glücklicher», mit Wunderlich zu telefonieren, der unter meinem «Einfluß» Themen der Französischen Revolution lithographieren will und mich um Ideen bat. Ist es das – daß mich niemand mehr «um Ideen» bittet?
    Soziale Beobachtungen hier alle nicht ermutigend – wie die Männer ihre Frauen als Eigentum (tätschelnd) in den Speisesaal schieben wie ihre Autos in die – nein: aus der Garage; jede einzelne der Frauen sich an der Lippe, Augenbraue, am Haar nestelnd und die Männer zwar gockelnd, zugleich linkisch verlegen. Kleine Leute (mit Geld), die Angst vorm Nachbarn haben –.
    Und die Häßlichkeit. Da haben sie nun ihr Leben geschuftet, die Couch-Garnitur und den altdeutschen Schrank und den Mercedes «geschafft» – aber stumpf vor sich hindösend liegen sie, rotgesotten, um den Pool. Von Lesen keine Spur (mit wenigen Ausnahmen).
    Und die «anderen»? Mindestens so schlimm. Traf gestern bei meinem nachmittäglichen Strandspaziergang einen ehemaligen «pick-up» , Frankfurt, Lufthansa (d. h., er traf mich; daß diese Jungs sich immer an so ne halbe Stunde erinnern – ich nicht die Spur!). «Ich sehe ja immer deine Artikel in der ZEIT.» «Sehe»? «Na ja, um die Wahrheit zu sagen – lesen tu ich sie nicht. Das ist mir zu lang. Ich hab die neue Nummer mit – wegen des Theaterkalenders –, aber ich werde sie in diesen 4 Wochen nicht durchschaffen. Sag mal, ist dieser Márquez schwul?» Man ist nach 2 Minuten wie betäubt, parfumüberspritzt – ob Amado schwul ist oder Eco (aber nie 1 Zeile gelesen), wieso ich nicht weiß, daß es in Las Palmas Opernfestival gibt, Kollo und Pavarotti und die X und der Y, und da sind so tolle Bars, und man kann billig einkaufen – es war, als sei ich auf einer anderen Insel. Bin ich wohl auch. Vielleicht ist das mein Fehler. «800 Menschen?», fragte der reaktionäre Schiller nach der französischen Nationalversammlung, «800 Menschen können sich nicht auf etwas Vernünftiges

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