Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
gerade Billy Wilder seine Boteros versteigert …).
Davor (also gestern) makaber-unsympathischer Abend, zu dem mich – dringend in vielen Telefonaten – un certain M. Dement vom Verlag Fayard geladen hatte; wußte bis 2 Stunden zuvor nicht einmal, daß es ein Diner ist. Monsieur, den ich – wohlgemerkt – nie gesehen hatte, empfängt mich (der deutschpünktlich kommt) mit einem Sturzbach intimster Klagen, daß sein Lover weggelaufen sei, so brutal sei, ein Verhältnis habe. Einem Wildfremden! Erschwerend kommt hinzu, daß ich vor vielen Jahren – als wir hier das frivol-lustige «Champanir»-Frühstück an Heines Grab abhielten – mit diesem damals attraktiven Freund (einem Übersetzer) geschlafen habe. Joe-Orton-Situation. Mit schlechtem Essen, schlechten Manieren, unangenehmen Leuten (vorneweg die typisch presse-ziegige Nicole Sand von Le Monde; verklatscht, scharfzüngig, kann kein Wort Deutsch, ist aber dort die Expertin für deutsche Literatur!!).
Heute «freier Tag». Gemütliches Frühstück im Deux Magots, wunderbare David-Ausstellung (eine unglaublich herrliche Zeichnung/Skizze eines nackten Napoleon), kleiner Bummel durch den Louvre zu meinem geliebten Perugino, ein «Salade Flore» ebenda, mit dem wie stets skurrilen Cioran («Ich habe jetzt allmählich genug gelebt») zu Fuß zu Matta, dem das Haus von Condorcet (rue de Lille, gleich hinter dem d’Orsay) gehört, eine Art «Château de Ville» mit Vorplatz, Freitreppe, Hintergarten, vollgestopft mit unermeßlichen afrikanischen Kunstschätzen. Künstler (erfolgreiche) sind die letzten Fürsten dieser Welt. Er nett, etwas talkative (neidisch weggehend, wenn Cioran spricht).
Hôtel Lutetia, Paris, den 19. November
Noch zu Matta: Man darf keinem Künstler gegenüber auch nur den Namen eines anderen nennen: «Botero?» «Ja, er hat über Uccello geschrieben – aber der ist ganz Muskel, Botero ganz Fett.» «Giacometti» – sofort nimmt er 1 Blatt Papier und malt verächtlich-karikaturistisch Strichmännchen: «So leicht ist das.»
Grand Palais: afrikanische Plastik – überwältigend. Übrigens auch in der Einfachheit der sexuellen Darstellung – so selbstverständlich wie (in der benachbarten griechischen Ausstellung) die masturbierten Riesenphalli, die Fickerei von vorn oder hinten, Fellatio – alles das selbstverständliche Bild vom Menschen.
Hôtel Lutetia, Paris, den 22. November
In Paris noch 1 großartiger Abend mit Breyten Breytenbach, herzlich, geradezu freundschaftlich, «Streit!» über das Thema, ob zu viel «sich einlassen auf die Welt» nicht den Schriftsteller erstickt. Etwas bizarr, so ein «schweres» Thema bei Austern und gutem Pouilly-Fumé auf der Terrasse von CHEZ FRANCIS mit dem erleuchteten Eiffelturm praktisch «auf dem Tisch».
Letzter Tag noch Abendessen bei Lortholary, das indirekt dieses Thema variierte: Denn die Frage «Woran arbeiten Sie?» richtet sich natürlich NIE auf den irgend nächsten Zeitungsartikel oder ein Interview-chen, sondern auf das nächste Buch. Cioran brachte mich nach Hause ins Hotel und stimmte in meine Klage über «In Paris ist alles zu viel und zu voll» heftig ein: «Hier sind selbst die Friedhöfe überfüllt.»
25. November
Gallenkneifen über die Erbärmlichkeit und Erbarmungslosigkeit der Literaten-Literaten-Fehden; selbst große «historische Umwälzungen» wie die im Augenblick im Osten produzieren nur Gehässigkeit gegeneinander: Biermann nennt (unter Zuhilfenahme Brechts) den Hermlin «außen Marmor und innen Gips»; Harich nennt Hermlin wiederum einen Denunzianten; Grass urteilt im SPIEGEL den einstigen Kollegen Walser ab (und lobt am DDRsozialismus die «Wärme und Gemütlichkeit»! Wenn DAS das Wesen des Sozialismus ist – gute Nacht).
26. November
Zur Zoologie der Gattung Mensch:
Gestern war Jochens Geburtstag; ich schickte – bewußt «unsentimental» – keine Blumen an Gitta Mund, sondern etwas Holsteiner Schinken (den er auch gerne mochte).
Was tut die Frau? Sie deckt – mit dem Schinken – «einen Tisch für 2 Personen»; sie terrorisiert (durch einen Unfall verletzt im Bette liegend) die gesamte ehemalige Gemeinde, das «Grab zu schmücken und Kerzen aufzustellen» – und sie läßt im ehemaligen, winzigen Arbeitszimmer von einem befreundeten Pfarrer eine Messe lesen!!!! «Ich habe die echt silberne Hostiendose extra geputzt, es waren noch Hostien von Jochen drin» und Weihrauch und Kerzen und klingeling – – – für den Mann, der sich seine Knaben
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