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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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angenehm und die zwischen uns übliche Mischung aus lustig/melancholisch – aber es fehlte eine Dimension, die der wirklichen (An-)Teilnahme. Im Grunde interessieren wir uns nicht füreinander, selbst Fragen «Wie geht’s Monica?» oder «Was macht Herr Bruns?» bleiben höflich. So wurde in Anekdoten ausgewichen: «Nein, Siedler geht es nicht besser – er verwechselt Metternich mit Meerrettich.»
    Bei alldem mag ich Wapnewski ja, hänge gar an ihm, teile seinen Hochmut wie seinen Tiefmut – und daß er ein Ticket Berlin – Sylt bezahlt, um mit mir einen Abend zu verbringen, ist ja wahrlich Freundschaftsbeweis. So wird es nicht an ihm oder mir liegen – sondern am Menschen «an sich» (vor allem dem älter werdenden), daß er sich ganz zutiefst nicht für den anderen interessiert. Nimmt man das als gegeben – dann sind solche «höf-lichen» Abende bei Champagner und Caviar immerhin noch das Beste.
    Kampen, den 15. September
    Heute vor wie vielen Jahren starb Bernd Kaiser – eben, vor 5 Minuten, starb er noch einmal, das «letzte Mal»: in meinem Roman, der mit «seinem» Tod endet, den ich eben – im Rohbau – beendet habe. Sitze zigarettenrauchend erschüttert über die eigenen Worte – ein lächerlicher Balzac-Verschnitt, der über den Tod seiner Figuren weinte?
    Habe das Letzte aus mir herausgelotet, herausgeholt in diesen Wochen für die 400 Seiten Manuskript; auch keine angenehme «Erwartung», daß das Buch ohnehin verrissen wird – da könnte ich Proust und Joyce zusammen sein.
    Kampen, den 22. September
    «Unbewegter» Abschied von Kampen, was heißt: Ich habe mich diesmal der Insel nicht sehr «hingegeben» – vermutlich war ich von der Arbeit am Roman absorbiert, «zu». Die immerhin ist so weit abgeschlossen, wie ich kommen konnte und wollte, die erste Durchschrift ist da, nun muß noch viel gesiebt, viele Fäden gezogen werden, mindestens noch dreimal neu-durchschreiben. Wobei mir an dieser Arbeit besonders auffiel, daß ich kein systematischer Denker bin, daß ich nicht «architektonisch bauen» kann: Ich entwickle kein Handlungsschema o. ä., sondern schreibe in Bildern, die sich ergeben, die ich oft beim Schreiben erst entwickle oder erfinde.
    Hôtel Lutetia, Paris, den 27. September
    Quiet days in Paris , diesmal genußvoll: das weiche Herbstlicht auf Kuppeln, Dächern und Skulpturen, flimmernd zwischen den letzten rötlichen Kastanienblättern oder grün gesiebt durch die Platanen. Die freundliche Aufnahme: Chefredakteur von «Débat» empfing mich, druckt den «großen» Artikel nach, danach Déjeuner-Interview beim «Nouvel Observateur», die mich als Freund und Autor des Hauses begrüßen, und heute Essen mit Lortholary, der sich für Gallimard um meinen Roman «bewirbt»: Mehr kann man nicht verlangen.
    Der erste Abend eine «tout Paris» -Hommage für Liebermann im herrlichen Jugendstil-Théâtre des Champs-Élysées, mehr komische Wunschkonzert-Nummern-Revue als wirklicher Genuß.
    Heute nur gebummelt, Notre-Dame, Saint-Sulpice, Seine, paar Sachen gekauft, abends (worauf ich mich freue) alleine in die Coupole, Kaffee bei Fauchon, morgen déjeuner mit Françoise Sagan, während in Hamburg der Mexiko-Artikel gedruckt wird: Ich werde noch mal sehr an diese freien, schönen, fruchtbar-arbeitsreichen Jahre ohne materielle Not zurückdenken (wo ich mir sogar leisten konnte, den eben per Fax erbetenen Moravia-Nachruf abzulehnen). Selbst gestern abend die Goethehaus-Diskussion «bestand» ich, wobei mir Schädlich in seiner behutsamen Genauigkeit und mit seinem freundlich-leisen Widerspruch sehr gefiel.
    Paris war diesmal wundervoll, nur strahlende Herbstsonne, ich habe mir Zeit genommen, nicht 30 Leute angerufen, keinen Botero-Matta-Cioran-Adami-Zirkus; Spaziergänge, gestern abend meine «Privat-Oper»: alleine zum Abendessen in die schön renovierte Coupole, 1 ganze Flasche Pouilly-Fumé, zurück ins Hotel gelaufen, heute morgen ausgeschlafen, Frühstück im Deux Magots, Déjeuner bei Lucas Carton (herrliches Jugendstilrestaurant an der Madeleine).
    Es war schön, genießerisch und nicht nur hedonistisch; z. B. habe ich – wenn’s klappt … – endlich die französische Tucholsky-Ausgabe bei Gallimard unter Dach und Fach.
    Parkhotel, Frankfurt, den 3. Oktober
    Die unerklärliche «angoisse de la foire» ; nicht zu definieren, wovor (1959 war ich das 1. Mal hier – sogar hier, in diesem Hotel!).
    Irgendwie un-normal, so «normal» diesen Tag zu verbringen: der wichtigste der

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