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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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den Tisch bestellt hatte, zirpte aus dem Dunkeln ein «Fritz, bist du es?»: Wondratschek. Mit irgendeinem undurchsichtigen Industrie-Berater-Ehepaar feierte er einen Scheck, den er einem törichten Mäzen abgeluchst hatte: Es wurde 2 Uhr nachts mit Strömen von Alkohol erst bei Schumanns, dann im Hotel, dann bei einer blondierten Tunte («die schönste Bar Münchens», schrie in dem leeren Ding Wondratschek wie am Spieß). Er wirkte wie eine Mischung aus Boxer, Zuhälter und Münchner Kir-Royal-Filmheld. Gestern abend ein mich dann doch erleichterndes Essen bei Grass. Erleichternd, weil ich’s schade gefunden hätte, eine jahrzehntelange Freundschaft ginge an politischen Streitigkeiten kaputt. Er muß gemerkt haben, daß ICH mich zurückzog, mich nicht mehr meldete, nicht anrief – und meldete sich von sich aus, war gestern weich, nett: «In unserem Alter sollten wir uns keine Krisen, gar den Abbruch von Freundschaft leisten» –; eine Mischung aus weiser geworden, resigniert, müde wohl auch.
    11. Oktober
    Absonderliches «Abstreichen» des eigenen Lebens, auch noch anhand eines Alphabets: Ich bringe mein Telefonbüchlein à jour . Ein EINZIGER Buchstabe dabei zeigt, wie abgestorben, abgesunken und vermodert vieles an/in meinem Leben ist: K.
    Nicht nur die Gestorbenen wie Kusenberg oder Peter Koch oder DDR-Anwalt Kaul (was war das damals für ein Drama mit ihm in Zürich!!), auch die «für mich Gestorbenen»: Kuby oder Kalow muß ich nicht mehr «verbuchen», Küchenmeister oder Kemp interessieren mich nicht mehr, selbst das Übertragen von Kroetz oder Kunert oder Koeppen gibt eigentlich keinen Sinn, weil ich sie NIE mehr anrufen, ihnen auch nie mehr schreiben werde … Korlen, Traugott König, der Herr Kolbe – tempi passati . So schmal mein Adreßbüchlein wird, so schmal ist mein Leben geworden – nix mehr Knef und nix mehr Horst Krüger (die doch alle mal irgendwie «mit-spielten»).
    Und das geht immer so weiter: bei L, die Lindemann IST bereits tot, Siegfried Lenz oder Erwin Leiser werde ich nie «bemühen», auch Lettau oder die dämliche Madame Lutrand nicht – – – also fliegen die alle «raus». Und kaum kommt ein neuer Mensch hinzu wie Lortholary unter L …
    15. Oktober
    Selbst eine «Flucht» ins herbstlich-strahlende Kampen übers Wochenende kann meine kummervolle Vergrätztheit nicht aufheitern: Die Gisela-Elsner-Warnung hat sich als substantiell herausgestellt. Hochhuth, Lizenzautor von Volk und Welt, rief Freitag atemlos an, um seinerseits zu berichten: «Irgendwelche Leute» (in seiner Wirrnis hat er die wichtigste Frage: wer sind die, nicht gestellt) waren bereits in Ostberlin in dem Verlag, um «Belastungsmaterial» gegen mich, i. e. alte Gutachten, an sich zu nehmen (und doch wohl: zu publizieren). Die Sache selbst ist vorläufig gescheitert, weil der noch-existierende Verlag (aber wie lange existiert er, respektive wem gehört er morgen) das ablehnt.
    Was mich daran aufregt, ist, daß man auf ARGUMENTE nicht mit Argumenten reagiert, sondern mit dem Versuch der Denunziation. «Den machen wir fertig» ist die Überschrift, nicht: «Den widerlegen wir.»
    Das hat noch zwei weitere Pointen: Hochhuth wie die Elsner stellen offenbar garnicht in Frage, DASS ich stalinistisch argumentiert habe, einst; sie warnen einen Freund, von dem sie das gleichzeitig aber annehmen. Die zweite: Das genau ist nicht der Fall. Ich habe hier 2 Leitzordner alter Gutachten und Artikel, über Hemingway oder Sartre, Aragon oder Erskine Caldwell, Böll oder Faulkner: Alle sind vollkommen OK, anständig im Argument, einigermaßen hilflos im Stil (ich war 21, 22, 23!), nicht EIN Wort, dessen ich mich schämen müßte. Ob das alle von sich sagen können? Und muß dennoch fürchten, daß irgendein übles Potpourri daraus gekocht wird, dem zu widersprechen, das richtigzustellen ich dann wieder entweder keine oder nur eine anwaltlich erreichte Leserbriefchance habe.
    Was für ein finsteres Gesetz über meinem Leben liegt – mit der weiteren Pointe, daß derlei IMMER im Herbst passiert; als sollte ich nicht geboren sein.
    17. Oktober
    Klaus Schlesinger beschreibt in seinem neuen Buch seinen Besuch bei mir, u. a.: «… kalkuliert plaziertes Mobiliar eines feinen, mir aber fremden Geschmacks». Meine Lebens-Melodie – besser kann’s nicht beschrieben werden, warum ich «ihnen» fremd bin.
    Mir scheint nur, ich zerbreche Stückchen für Stückchen an diesem «Weggestellt»-Werden.
    23. Oktober
    Bitter kränkend der

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