Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
meiner eigenen Seifenoper.
Mit dem Manuskript nicht allzufrieden. Wird es banal? Darf man das, dieses Einmontieren von Wirklichkeitsbrocken? Muß das dann – à la Döblin – nicht kunstvoller gemacht werden? Manchmal denke ich, diese Scene sei mir gelungen, dann wieder scheint mir alles sehr oberflächlich und unverschämt, derlei in eine Welt zu setzen, die Flaubert und Thomas Mann gebar.
Vergessen zu notieren: Ausgerechnet dieses Haus der Kir-Royal-Dame ist das Haus von Siegfried Jacobsohn. Und sie weiß das kaum, weiß jedenfalls nicht, WER das eigentlich war – und «hat zwar gehört», daß es jetzt seine Briefe als Buch gibt – die Briefe, in denen er doch von Sylt und dem Haus SCHWÄRMT –, aber: «Warum schenkt mir das keiner?» Die Idee, daß man Bücher auch KAUFEN kann, kommt so jemandem nicht.
20. Juli
Die Arbeit am Roman: Wie unverschämt, gar lächerlich ist es eigentlich, nach all den Riesen der Weltliteratur von Flaubert bis Joyce sich hinzusetzen und Prosa zu schreiben – Unverfrorenheit?
26. Juli
In 2 Stunden Abreise nach Bayreuth.
Darauf auch neugierig wegen «deutsch»: Die deutsche Frage gebärt ja jeden Tag neues Unheil, neuen Wirrwarr und neue eigene Unsicherheit. So finde ich z. B., daß die allerorts mit Empörung aufgenommene «englische Erregung» sehr zu Recht besteht, daß ich selber in mir genau diese Eigenschaften wahrnehme, die diese Herren um die Dame Thatcher erörterten: Selbstmitleid, Hang, geliebt zu werden, Angst, Aggressivität, Minderwertigkeitsgefühl, Sentimentalität, Überheblichkeit, Selbstbezogenheit (von der ja dieses gesamte Tagebuch ein Zeugnis gibt).
Romantik Posthotel, Wirsberg, Anfang August
Wagner habe ich, scheint’s, zum 1. Mal begriffen, hatte mir auch Zeit genommen, zu lesen und nachzudenken. Der Bruch respektive die Dialektik zwischen Utopie und Skeptizismus, zwischen dem Aufscheinen-Machen einer besseren Welt (der Liebe?) und dem Deutlich-Machen von Geschichte als Katastrophe (um mit Benjamin zu sprechen) schon sehr spannend; und mein «Schopenhauer-Verdacht» prompt bei Nietzsche bestätigt gefunden.
«Was ist euch Harten/doch heilig und wert/giert ihr Männer nach Macht!»: Leitmotiv des Rings (Fricka) der Machtwahn (= Goldrausch), für den Treue und Liebe und gar Sexus geopfert wird. Großartig schon die Exposition (Rheingold ist eigentlich bereits der GANZE Ring), wie Wotan seine Verträge bricht bzw. Delegierte sucht, die seine Verrätereien exekutieren müssen – – – bis hin schließlich später zu Brunhilde, die ja tut, was er EIGENTLICH will bzw. wollen sollte – – – und DAFÜR von ihm gestraft wird: «Als junger Liebe/Lust mir verblich/verlangte nach Macht mein Mut» (Wotan zu Brunhilde) – das ist sprachlich wunderschön und inhaltlich gewaltig. Im selben 2. Aufzug der Walküre: «Schüfe die Tat/die ich scheun muß/die nie mein Rat ihm riet/WÜNSCHT SIE AUCH EINZIG MEIN WUNSCH … zum Ekel find ich/ewig nur mich/in allem, was ich erwirke/das andre, das ich ersehne/das andre erseh ich nie … Knechte erknet’ ich mir nur.»
«Was ich liebe, muß ich verlassen/morden, wen ich minne/trügen, verraten/wer mir traut – – – – – – – – –.» Wenn da nicht das ganze Deutschland drinsteckt, vom Faust bis zu mir, und natürlich zum Siegfried: «Und doch alle Eide/alle Verträge/die treuste Liebe/trog keiner wie er.»
Und das alles eingebettet in tiefste deutsche Landschaft, mit Ausflügen zu Balthasar Neumanns Vierzehnheiligen, mehr Bankettsaal als Kirche in seiner selbstgerechten und sich selbst feiernden Pracht, oder nach Kronach, Cranachs Geburtsstadt (heißt er eigentlich «Cronach»?), schließlich in Weimar an sein Grab (wußte nicht, daß er dort beerdigt; wie ich auch nicht wußte, daß «mein» Herder in seiner Kirche in Weimar liegt).
Und schließlich in Buchenwald vor den Verbrennungsöfen: Parkplatzgebühr vorm KZ!
Hotel Bellevue, Dresden, 2. – 4. August
Fast Deutschlands schönstes (mit Riesen-Pool zumindest großzügigstes) Hotel, herrliche Lage an der Elbe mit Blick auf Semper-Oper, Kirche, Schloß-Ruine, Albertinum.
Die Stadt schmerzt: zum einen als Mal, was Adolf uns nahm, zum anderen, mit welch sinnloser Barbarei das zerbombt wurde, zum dritten, daß bis auf die Semper-Oper alles in Dreck und Ruinen liegt; nach 40 Jahren! Bäume wachsen aus dem Albertinum, vom Schloß ein paar Mauerreste (was natürlich vor 20 – 30 Jahren restaurierbar gewesen wäre), der wiederaufgebaute Zwinger
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