Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Selbstbewußtsein. Indirekt-Kritisches zu seiner altbackenen Dramaturgie nimmt er garnicht wahr; Direktes steckt er ungerührt unter dem Motto «Wer austeilt, muß damit rechnen …» weg, nicht einen Moment stellt er sich in Frage. Inzwischen auch mit Wartenlassen, «Bestellen Sie mir noch ein Bier» oder «Sie holen mich dann morgen ab», sehr «Star». Die Herumkommandierten lassen sich das wie selbstverständlich gefallen, und er, huldvoll die fremden Leute, die am Eingang anstehen (beide Veranstaltungen überfüllt!), grüßend, bringt es – beneidenswert – fertig, unglaublich pampig einer intervenierenden Emanze zu sagen: «Wissen Sie, was Sie sind? Dumm. Ich habe noch nie so einen dämlichen Kollegen getroffen. Nichts als dumm sind Sie», ohne eine Miene zu verziehen.
28. August
Lektüre der Andersch-Biographie beendet; viele Ähnlichkeiten: das Bedauern, zu viel Journalismus gemacht zu haben (des Geldes wegen, der schönen Autos und Hotels wegen), immer «den Roman» im Kopf und im Plan, nie die Ruhe, die Prosa eben will, aufgebracht – dafür «aufgebracht» über Verrisse der zu eilig geschriebenen Bücher, links und konservativ, mehr homme de lettre , Anreger und Littérateur als großer Schriftsteller. Lektüre wie in einem Spiegel …
Der gestrige Abend mit Haug von Kuenheim: glatt-freundlich, gar freundschaftlich sich gebend, aber NIE mit auch nur EINEM Wort zu irgendetwas Stellung nehmend, stets ein «Das werde ich Ted fragen» oder «Mal hören, was Hilde von Lang sagt», sei es zu einem Artikel, sei es zu einem Plan. Dabei habe ich mich selber in eine große Unruhe gestürzt: habe gefragt, gar angeregt, ob ich nicht nach Berlin – für DIE ZEIT – gehen sollte. Die Idee – «Ich spreche morgen mit Ted» – begeisterte ihn, im Gespräch entstand sofort ein «Salon» mit großer Altbauwohnung, ein «geistiges Zentrum der ZEIT», eine Kraftquelle für internationale Kongresse – – – kurzum, ich grabe/grübe mir mein ganzes, so «angenehm eingerichtetes» Leben um, von Gerd (räumliche Trennung zerstört immer eine Beziehung) zu schweigen.
Warum «pople» ich am eigenen Leben herum, schaffe mir selber Unruhe und Nervosität?
Dagegen ist die kleinere – obwohl auch Nerven kostende – Unruhe, daß Herr Wurm auch meinen 2. Plan, eine Reise auf den Spuren Uwe Johnsons durch Mecklenburg und nach New York, herrlich fand. Wieder eine «ungemütliche» Reise …
29. August
Angenehmer Abend mit Rowohlt-Naumann, der aber (wie immer) wesentlich mehr an Journalisten-Klatsch interessiert ist als an meinen Büchern: Mein stolz gezeigtes Roman-Manuskript würdigte er – DER VERLEGER! – nicht eines Blickes, fragte weder nach Titel noch Inhalt noch Termin; aber über die Berlin-Möglichkeit war er geradezu ENTFLAMMT, darüber sprachen wir mindestens den halben Abend.
Wobei eine Anekdote mir zeigte, daß ich mich auch in Finanzen nicht richtig auskenne oder verhalte: Selbst bei einer Kleinigkeit mache ich Mist: Irgendein Senatsfritze will einen Vortrag; er fragt, wieviel Honorar ich verlange; ich sage, er solle ein Angebot machen (erwartete 1000 DM); er bietet 5000.
Kampen, den 2. September
Vorgestern das 1. Mal seit fast 2 Jahren wieder in der «großen Konferenz» der ZEIT, was mich sehr aufgeregt hat und was – leider muß ich es zugeben – mir auch «gefallen» hat; diese selbstauferlegte Abgeschnittenheit (ich gehe nicht mehr hin, seit man meinen Namen aus dem Impressum gelöscht hat) ist eigentlich nix für mich, ein bißchen von dieser Mischung aus ernster Information, Klatsch, Eitelkeit – kurz: Kollegenmief – ist doch auch meine Welt. War ja auch das innere Gesetz und die Berechtigung der Gruppe 47 …
Mein Vorschlag, das letzte alte Palais des Dresdner Barock qua ZEITstiftung (Bucerius soll was von seinen Mäusen rausrücken) plus Spendenaufruf an die Leser zu restaurieren, schlug ein wie die Bombe, die dieses Gebäude (ich glaube, es ist die königliche Akademie – gleich neben dem Albertinum, an den Brühlschen Terrassen) zerstörte. Bin etwas stolz auf diese Idee.
Kampen, den 4. September
Nun also ins 60. Nicht sehr bewegt von dem «Ereignis». Eigenartig «flacher» Besuch von Peter Wapnewski. So rührendfreundschaftlich es war, daß er extra aus Berlin anfliegt (anfangs dachte ich, der Besuch habe noch eine besondere «Pointe»), und sosehr wir uns gegenseitig die beiden Wedelworte GROSSE FREUDE, GROSSE FREUNDE zufächerten: Das Boot hatte keinen Kiel. Es war nett und
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