Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Hotelzimmer 350 DM kostet …) – und das neue arme, in dem allein Budapest 30.000 Obdachlose hat, das Durchschnittseinkommen 150 DM beträgt und man zwar reisen darf, aber nicht kann, weil jeder nur 50 Dollar pro Jahr tauschen kann. Das Land ist frei, aber (bei 30 % Inflation) wirtschaftlich ruiniert. Wo immer ich hinreise, von Peru bis DDR, dasselbe: die Wirtschaft kaputt und ich «der reiche Tourist».
24. März
«Ein Abend mit der Mondänen». Verspäteter Auftritt an der Hotelbar, in der Hand zwei zerknickte, verblätternde Tulpen, aus der Hotelzimmerdekoration gerissen. Bier vom Faß. 20 Minuten «wie schade, das niedliche Haus» – Reaktion auf meine Nöte, ohne Nachfrage, Gegenfrage, Ratschlag. «Ich muß darüber nachdenken.» Nach einer halben Stunde: «Die Rechnung bitte», und, als ICH natürlich zahle: «Ja, man sagt ja, Männer werden impotent, wenn die Dame zahlt.»
Im Wagen zur Agnes-Straße des Rätsels Lösung, warum so eilig. «Wie ärgerlich, kaum hatten wir telefoniert (und uns für den Abend verabredet), rief Bob Wilson an und wollte mit mir ausgehen.» Zu deutsch: DAS hätte ich natürlich viel lieber getan, und hätte er bloß 5 Minuten vorher angerufen, dann …
Erstürmung der Agnes-Straße, ohne Blick für die Kerzen (die Gerd rührend schon im Treppenhaus angezündet hatte), die Blumen, ein neues Bild. Nur der unverhohlene Blick auf die Uhr, in den Augen ein: «Nun macht schon, wann fängt das Essen an, ich muß wieder weg»; denn verabredet war sie natürlich noch mit Böb-chen. Mehrere riesige Vodkas, dann KEIN EINZIGES Blatt vom Salat: «Das schmeckt mir nicht, zu scharf», dann große Gläser Rotwein, dann EIN BISSEN vom Fleisch und KEINES der Gemüseteile: «Viel zu scharf, sicher köstlich, aber ich kann das nicht essen.» Dann, rasch, rasch, eine Brotkrume und eine Messerspitze Käse, ohne auch nur eine Augensekunde an den schön gedeckten Tisch, die herrlichen Gläser, die riesige weiße Hortensie im kostbaren Jugendstil-Übertopf zu verschwenden, Gestik, Körpersprache und «richtige» Sprache nur im Rasch-rasch-Ton. Sie würde auch Handstand auf einem Blitzableiter machen. Die Mousse au chocolat war noch nicht gegessen, da wurde schon nach dem Fahrer telefoniert – nur weg, nur weg.
Alles in allem: ein gemütlicher, freundschaftlicher, anteilnehmender Abend. Zu Gerd nicht einmal ein: «Wie geht es Ihnen?»
Kampen, den 28. März
Bedrückt und gedemütigt in der Vorfrühlingssonne: Seit nunmehr 14 Tragen höre ich (von Kuenheim): «Das geht in Ordnung mit Ihrem Vertrag», Sommer werde demnächst mit mir, Sommer müsse nur noch (Kuenheim: «Die Dönhoff stemmt sich dagegen, aber sie hat ja nichts zu sagen», hm), Sommer riefe an, Sommer wolle einen Kaffee mit mir trinken, Sommer habe sich meine Sylt-Nummer geben lassen, Sommer habe keine Zeit mehr gefunden, Sommer sei schon nach Sylt gefahren, dort werde er – nun sitze ich hier seit Montag, und das Telefon schweigt. Komme mir vor wie ein Debütant und nicht wie ein 60jähriger «gedienter» Mann. Deprimierend. Da nützt es auch nichts, daß Kuenheim mir vor ein paar Tagen – in der Wilson/Parzival-Premiere – noch einmal expressis verbis sagte: «Das ist OK mit Ihrem Vertrag, wird um 3 Jahre verlängert.» Das ist nicht einklagbares Premierengeschwätz.
6. April
Und der Fadenglas-Sammler zertrümmert,
in einem letzten Aufbäumen,
seinen unendlichen Alptraum
Aus Enzensbergers neuem Gedichtbuch, wer weiß, ob er mich nicht wirklich meint: Jedenfalls BIN ich gemeint – genauso geht es mir im Moment.
Wobei ich das dicker frierende Eis des nun alternativ-losen Kapitalismus deutlich spüre (dessen sich die Menschen, die entsprechend reagieren, gewiß garnicht bewußt sind): Das Gesetz «Erfolg um jeden Preis» ist noch schärfer präsent. So merke ich deutlich, daß ALLE mein Gejammer nicht mehr hören mögen; man ist nicht in der Klemme (oder sagte es nicht so unverblümt), das ist nicht die Musik für das Menuett, das hier getanzt wird. Will einer von irgendwelchen momentanen Nöten sprechen (wie ich jetzt gewiß zu oft und zu viel), dann ist das peinlich, als spräche man von seiner Verdauung oder einer Darmverschlingung.
7. April
Der Abend mit Kempowski besonders freundschaftlich-angenehm; bis hin zu der Geste, daß er mich fragte, ob er mir Geld leihen solle – wohl nur aus der Biographie erklärbar: Er als EINZIGER stellte diese Frage in meiner ganzen Malaise.
Die er – und seine erstaunlich heiter-normale
Weitere Kostenlose Bücher