Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
– Frau auch besonders gut verstanden, meine Angst um die Bücher, Akten, Manuskripte; gerade gestern hatte ich ganze Stapel von Vorstudien zu Büchern, durchgearbeitetes Material, Anmerkungsnotizen usw. weggeworfen; in einer Mischung aus Trotz à la «will ja doch keiner haben, wird niemand je reinsehen» und Traurigkeit.
Außerdem ist er ein amüsanter Historiograph – er LIEBT Anekdoten und Details. Augenblickweise war es, als spule er mir MEINEN Lebensfilm in Ausschnitten rückwärts ab; z. B. wenn er von einem «großen Abend» bei mir am Leinpfad erzählt (den ich schon vergessen hatte), mit Augstein, der gerade seine Politik-Karriere aufgegeben hatte, und Ernst Bloch, der sich Stuhl und Tisch als Katheder in den Raum arrangiert hatte und von dort donnerte: «Haben Sie das aus gruuhndsäätzlichen Errwääkungen getan», mit Martin Walser und seinem schönen Begleiter und der Dönhoff, mit Grass und Rühmkorf usw. – – – und er, Kempowski, habe sich so klein und unbeachtet gefühlt.
Leicht bizarr allerdings die Situation, daß da zwei Leute bei Tisch sitzen, die sich ganz unverhohlen erzählen, daß sie Tagebuch führen («ich notiere JEDEN EINZELNEN TAG»), also wissen, daß spätestens anderntags der eine über den anderen und der andere über den einen irgendwelche Notizen macht: Zeitweise kam es mir vor, als sprächen zwei Spiegel miteinander, und ich spürte, wie es in mir zuckte: «Das muß ich aufschreiben.»
8. April
Heute, IN DER TIEFGARAGE (aber mir ist DAZU jeder Ort recht), teilt mir Dr. Sommer mit: «Ihr Vertrag wird verlängert»; er liege – von Bucerius unterschrieben, auf seinem Schreibtisch (wobei interessant/befremdlich ist, daß Herr Bucerius so was genehmigen muß – der doch offiziell keinerlei «Funktion» im Hause hat – außer, daß er eben Eigentümer ist. Reinster Brecht, respektive Marx …).
Gestern der sonderbare Hochhuth, der immer wirrer wird, dem 1 ½ Stunden am Telefon knapp Zeit zum Atmen blieb, so holterdiepolter stürzte sein Wortschwall durch die Leitung wie ein Katarakt: die Ehe, das Geld, die Exgemahlin. «Kräftig wie ein Russenregiment» – zugleich «dumm genug anzunehmen, ein Mann bliebe lange alleine, hoffend, ich verkomme im Dreck – sich nicht klarmachend, daß es immer irgendwo ne nette pensionierte Lehrerin gibt, die froh ist, unsereins die Knöpfe annähen zu können», die Söhne, die Verlage, die Redaktionen, die Nicht-Wohnungen, die Mißerfolge, die bösen Intendanten – – – es blieb gerade Zeit für ein atemloses «Und wie geht es Ihnen?» ohne EINE Sekunde Wartezeit für eine Antwort. Faszinierend, wie das Älterwerden wirklich die negativen Charaktereigenschaften potenziert: Wer sparsam war, wird geizig, wer (wie Hochhuth) immer schon von Bismarcks Hund zum linkshändig onanierenden Menzel («weil er dabei rechts malte») durcheinanderschwatzte, wird nun zum Niagarafall.
Und ich?
17. April
Der Vertrag ist da! Sogar – versehentlich? – bis 1995 verlängert!!
Auch dies übrigens Beispiel für den – da nunmehr ohne Alternative – krude und noch rauher gewordenen Kapitalismus: Sommer hatte, wie er selber zugab, überhaupt nicht daran GEDACHT, sich über die Höhe meiner Bezüge Gedanken zu machen; aber: «Wir brauchen Ihre Brillanz», selbst Bucerius kam neulich und sagte: «Was haben wir nur getan!» und habe von meiner brillanten Feder geschwärmt …
Brillante Feder – aber möglichst umsonst (das ungerecht, umsonst ist’s ja nicht – wenn ich an Sekretariat, Spesen, Telefon und Bezüge denke; dennoch …). Es war übrigens, das ist zu vermerken, die Dönhoff, die sich gegen die Verlängerung des Vertrages sperrte. «Aber sie hat ja nichts zu sagen, es sei denn, sie legt ein veritables Veto ein» (Kuenheim). Hat sie wohl nicht.
Gestern abend essen mit Rowohlt-Naumann, nett und freundschaftlich-kollegial wie immer, aber auch ebenso oberflächlich. Das eigentliche Thema, die Tucholsky-Gesamtausgabe, war schon beim Drink vor der Vorspeise «durch», dann kam der ewige Journalistenklatsch und die – übrigens echte – Freude über meine Vertragsverlängerung. Das Interesse an meinem Roman füllte – im Gegensatz zu Hochhuths Ehedrama – EINEN Satz. Nach dem Titel des Buches wurde nicht gefragt, wo doch «Wie heißt du?» die erste Kinderfrage ist (und sogar Sommer fragte: «Wie heißt es?» – als könne er mit einem Titel etwas anfangen).
25. April
«Abgeschaltet» nach einem kleinen «Fichte-Vortrag» an der Uni, wo
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