Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
ein Student fragte: «Wie hieß der – Hans Henny Jahnn? Werisndes?» und wo mich der Seminarleiter hinterher nicht mal bis zur Zimmertür begleitete. Diese Uni-Atmosphäre ist mir noch fremder geworden, als sie es mir ohnehin war. Gestern Semesterbeginn in Hannover – das Seminar von schlurfenden Massen überfüllt, eine einmalige Versammlung häßlicher, auf dem Boden herumlümmelnder Menschen. Für eine Cigarettenlänge bei «Ordinarius» F. K., der mir geradezu stolz erklärte, er sei nun «voll Hochschullehrer» und interpretiere nur noch Texte, ohne Mätzchen – so habe er gerade die tolle Habilitations-Schrift eines afrikanischen Germanisten über Hubert Fichte «durchgearbeitet». Mein Gott – Fichte selber ist schon fragwürdig genug, und der lächerliche Eifer, mit dem man nun in seinen «Hörspielen» z. B. herumstochert (die doch in Wahrheit NIE Hörspiele waren, sondern Funkarbeiten, die er dazu deklarierte, weil sie das doppelte Honorar eines Features brachten; so einfach ist das); zu lächerlich. Und dann noch auf die höfliche Frage nach dem Wohlergehen seiner Frau ein Sermon, daß er mit ihr seit fast 2 Jahren «Trauerarbeit» leiste. Ich bekam erst einen Schreck, Krebs oder so was. Nein: Sie war Cutterin beim WDR, und die neue Technik macht die «klassische Cutterin» überflüssig. Nicht, daß sie arbeitslos würde – dann verstünde man Trauer –, aber «sie hat doch ihre künstlerische Arbeit so geliebt, und nun diese Maschinen». Es hat was Rührendes, so dumm ist es.
28. April
Absurde Tätigkeit vor der ungeliebten Frankreich-Reise: Ich lese (und suche heraus) in alten Tagebuchaufzeichnungen, für Kersten, der irgendeine Publikation plant. Das hat etwas Unhygienisches, in seinen eigenen alten Häufchen zu stochern.
Alle möglichen Wirrnisse finde ich nun in 10 Jahre alten Tagebüchern: Ich habe mich nicht geändert, nicht «gebessert», bin nicht klüger, sondern allenfalls wirrer geworden. Ich wüte mich über denselben Unsinn – daß z. B. der Herr Unseld in seinem Uwe-Johnson-Erinnerungsbuch jetzt zwar jeden Piesepampel bei Namen nennt, aber der Brief, den er eingangs erwähnt (mit dem Uwe Johnson mir den Weg nach Sheerness beschrieb), ist der Brief «an einen Freund»; bloß nicht FJR sagen!, und ich amüsiere mich leicht bitter nach wie vor über denselben Quark; daß der Herr Kindler im FAZ-Fragebogen als Lieblingsnamen einen aus Aragons AURELIEN nennt – als sei er «bei Aragon» aufgewachsen und habe das nicht HÖCHST widerstrebend (und mich schließlich WEGEN DERLEI BÜCHERN! entlassend) verlegt.
Pfingstsonntag, den 20. Mai
Da-capo-Rückkehr in den naßkalten Norden, wo knapp die Kastanien aufgesteckt haben und der Rhododendron noch nicht blüht. Donnerstag schöne Fahrt über kleine Straßen von Cap Benat nach Crillon-le-Brave; zum Abend bei Wunderlich in seinem abermals zum x-ten Male umgebauten (immer schöner werdenden) Haus in Vassols – Wände durchbrochen, Decken abgehängt, alte Kamine (aus Paris eingeflogen!) installiert, Fußböden mit herrlichem Sandstein «parkettiert» und im Garten die mehrere Meter hohe und weite Vogelskulptur aus Bronze (die mir in der kleineren Version nie gefiel und nun eine Dimension des Unheimlichen, Bizarren und Wundersamen hat; ein herrliches Stück Manierismus in einem Garten). Der Abend von heiterer Beschwingtheit, leicht, lässig, selbstverständlich. Paul mich tröstend auf liebevollste Weise, wenn ich so viel Fehlgelaufenes an meinem Leben beklagte. «Sie sind 1 %, MAXIMAL, die was geschafft und geschaffen haben, die eine Gestalt geworden sind – machen Sie sich das klar und vergehen Sie sich nicht.»
Lustig-bizarr dabei, daß Wunderlich einerseits nicht nur sehr aufs Geld sieht und sich mit dessen Hilfe ein nicht zeremoniöses, aber behaglich-luxuriöses Leben leistet – und andererseits sagt: «Was sind schon irdische Dinge, man soll sich nicht zu sehr daran hängen.» Das ist: Wer 2 Rolls-Royce hat, kann ohne Mucken Ente fahren (was er tut), nur, wer NUR Ente fährt, träumt wenigstens vom Opel. Nur wer HAT, der kann verzichten – wer nichts hat, SEHNT sich und kämpft gar.
Gestern abend draußen in Behlendorf bei Grass – auch er hat umgebaut, Kamin verlegt, zwei Zimmer zusammengelegt, wodurch das Haus etwas wunderbar Normales, Biedermeierlich-Behagliches bekommen hat mit dem hinreißenden Blick auf Kanal, blühende Rapsfelder und über dicke Wolken blühender Obstbäume hinweg. Ein Schweigen anbietendes Nest. (Aber
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