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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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man in den nächsten – bzw. vor allem: wie kommt man wieder raus), sondern auch bedrückt: Wie falsch muß ich «investiert» haben angesichts seiner 3000 Tannen, Riesen-Felder, Gartenwege und Eichenanpflanzungen; ich habe 3 Tannen auf der Terrasse in Sylt und eventuell demnächst in einem Teil-Gärtlein 3 Bäume und einen Rhododendronbusch …
    Er selber wieder liebenswert-skurril. Es wird darauf BESTANDEN, daß zu Mittag gegessen wird, obwohl keiner der Beteiligten (die Frau ist ohnehin Vegetarierin) wirklich was essen möchte. Es wird auch gönnerhaft gesagt: «Du darfst ruhig beim Gespräch dabei sein, Irma (??), wenn du dich ruhig hinten in eine Ecke setzt» (es war ein Tonbandinterview für den BR) – – – was sie auch prompt tut. Und es wird allen Ernstes gesagt: «Um Punkt drei bitte Kaffee und Kuchen» – was dann auch die Frau des griesgrämigen Genies Punkt drei serviert. Ein Dorf-Thomas-Mann oder ein Schulmeisterlein Wutz; er sagte hübsche Sachen wie: «Ich bin doch nur ein durch den Fleischwolf gedrehter Klops, verglichen mit Ihnen» – womit er seine leichte Konsumierbarkeit meint im Gegensatz zum «Umstritten-Sein» des FJR und die Eingängigkeit seiner Literatur im Gegensatz zu meiner «anspruchsvollen»; und er sagt Absonderlichkeiten im offiziellen Gespräch, so, daß der sozialistische Traum (der immerhin das Jahrhundert beherrschte), seine Utopien, Abgründe und Abstürze, für ihn ÜBERHAUPT NICHT VORHANDEN war, keine Denkkategorie, kein moralisches Glatteis, keine Versuchung. Nie je. Selbst den Alten wie Becher billigte er das nicht zu.
    Dafür die fast heimtückisch-genaue Beobachtungsgabe des geborenen Chronisten: Als er mir beim Tee Mineralwasser anbot und ich – meiner Meinung nach höflich – sagte: «Ich bin jetzt beim Tee, danke», konstatierte er – amüsiert: «Das ist eben, warum Sie so unbeliebt sind – Sie weisen die Leute zurecht; eigentlich hieß das ja eben: ‹Sie Dorftrottel haben kein Benehmen und bieten Wasser beim Tee an.›» Garnicht so falsch – sowohl, was mich betrifft, als auch, was ihn.
    29. Juni
    Eben fertig mit der Uwe-Johnson-Reportage und leer wie nach einem Buch; hat mich SEHR angestrengt, nicht nur als «Schreibübung», sondern wegen der persönlichen Nähe und wegen der unvermeidlichen Fragestellung nach Schuld und Versagen der DDR-Intellektuellen, die doch alle gewußt und mitgemacht haben? Die neue Kollektivschuld. Vor paar Tagen dazu ein grauslicher TV-Bericht über die Mauermörder, die natürlich alle «nichts gewußt», «nur Befehlen gehorcht» oder «danebengeschossen» haben (wobei man sich fragt, wie Menschen sterben können, denen man «nur» in die Beine geschossen hat (?)). «Ich habe ein reines Gewissen» war der Tenor von Leuten, die sich’s in ihren entsetzlichen Kleinbürgerheimen mit Zierpflanze auf dem Fernseher und Dackel auf dem Arm gemütlich gemacht haben. War eine Fortsetzung von Fechners Auschwitz-Dokumentation. Wird ja lustig, wenn ich wirklich fürs ZDF dies Hermlin-Gespräch machen sollte – der immerhin paar Tage nach dem Mauerbau «zur Truppe» eilte, wie ein anderer Film vor kurzem dokumentierte. Das MUSSTE er??
    4. Juli
    Lese in einem amüsanten Raabe-Katalog etwa dessen Satz: «Ich bin mein ganzes Leben durch die heiße Hand an der Gurgel mit der Frage ‹Was wird mit Dir und den Deinen?› nicht losgeworden»; oder: «Wie die meisten Schriftsteller die meisten Abenteuer auf dem Papier erleben»; oder sein (Goethe an Eckermann-) Zitat: «Wenn man weiter nichts vom Leben hätte, als was unsere Biographen und Lexikonschreiber von uns sagen, so wäre es ein schlechtes Metier, und überall nicht der Mühe wert.»
    Sind alle Menschen so? Bucerius, der, wenn seine seit 30 Jahren von ihm im Tessiner Palazzo getrennt lebende Frau nach Hamburg kommt, allen Ernstes seine (seit Jahrzehnten) Lebensgefährtin «ausziehen» läßt; der Chauffeur, der sonst (die im Verlag leitend Tätige) herumfährt, chauffiert dann Mme. Buceria. Ein Volker Braun muß her! Als die «Ich habe ihm das Leben gerettet»-Dame sich an das Krankenbett des Darmoperierten drängte, sagte er: «Ich dachte, wir leben getrennt? Dann muß ich mich wohl scheiden lassen?» Sie hat übrigens, wie im bösen Märchen, ein Büro mit Sekretärin im Verlag, das sie ca. 2mal im Jahr für 24 Stunden nutzt …
    Eigentlich erlebe ich lauter Balzac-Scenen: die Dönhoff (die empört Herrn von Kuenheim anraunzt: «Wieso sagt man mir nicht, daß der Raddatz wieder im

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