Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
stete Verwunderung über solche «Poeten-Festivals»: enormer Andrang (kulturell interessierte Schafherden?); das Hipp-Hopp-Management der Veranstalter: «Sie sind in 10 Minuten in Saal B dran»; das Mehr-Interesse daran, daß «es klappt», als an Texten/Autoren – ich wurde mitten im Lesen aus dem Roman per Zettel «Bitte zu Ende kommen» unterbrochen und brach wütend mitten im Satz ab; das Bla-Bla des anschließenden Gesprächs, obwohl in meinem Fall geführt von dem mir wohlgesonnenen Maxim Biller: «Muß ein großer Autor auf Familie verzichten?» oder «Lieben Sie das Leben?» – alles in 15 Minuten.
3. September
Also 60:
Bitterkeit.
Mein Eintrag ins Goldne Buch von Kampen:
Ein Dank und Gruß an meine zweite Heimat Kampen,
dessen magische Schönheit
und seltsam schwebende
Melancholie Schriftsteller von
Franz Mehring bis Max Frisch, Siegfried Jacobsohn
bis Thomas Mann beschrieben haben.
Meine (mir) wichtigsten
Arbeiten sind hier entstanden –
ob die Habilitation oder das
Heine-Buch, die erzählerische Prosa
oder der Tucholsky-Essay.
Wenn es Glück gibt:
Hier ist es.
8. September
Meinem Geburtstag nachdenkend: Eigentlich war alles eine Farce (hoffentlich werde ich das nicht eines Tages über mein ganzes Leben sagen …). Der «große» Abend war zwar bunt und angeblich sehr freundschaftlich – aber genau betrachtet leer; Kempowski eifersüchtig auf Grass, Rühmkorf (Geschenk: eine Broschüre mit Widmung!) einsilbig, die Begegnung Wunderlich – Grass sich beschränkend auf «Was macht die Gesundheit – danke, gut», Lettau, entweder drogiert oder vermuffelt, jedenfalls vertrotzt das Lesen seines amüsant-skurrilen Gästebeschimpfungstextes verweigernd, Kaiser früh betrunken und – auf lautes Drängen nach «einer deutschen Rede» – eine witzige Rede haltend (Grass, mehr ihm erwidernd als mich «feiernd», antwortete kurz; wenn das sein «Darf ich dir deinen 60. Geburtstag ausrichten?» war …), die Mondäne für 2 müde Stunden – ohne eine Blume – durchrauschend, Monk mit einem Bändchen Heinrich Mann unterm Arm. Lieblose Legenden. Ich muß mich schon fragen, ob ich mich, meine angebliche Lebensleistung und meine nebbich Bedeutung, nicht enorm überschätze. Was bleibt, ist offenbar der geistreiche Mann, der schnelle und zu schnellen Fehlern neigende Journalist, der gebildete Anreger.
Kampen, den 12. September
Mein Geburtstag als Farce. Gestern ZEITempfang im Anglo-German Club – mickrig, die kleinsten Häppchen der Welt mit dem deutschesten Sekt der Welt, eingeladen fast nur Redaktionsmitglieder, ein Betriebsausflug; ein paar «Gäste», weil man – als führen die Leute mit einem Combo-Bus von einer FJRfeier zur anderen – nur Leute eingeladen hatte, die bereits am 3. bei mir waren oder am 8. Oktober zu Rowohlt in Frankfurt geladen sind.
Eine «eigentlich» sehr schöne Rede von Theo Sommer, die es aber nur eigentlich war, weil er mir hinterher selber mit dem ZEITüblichen Charme brut sagte, er habe ja aufpassen müssen, nicht ZU viel Positives zu sagen, damit ich mich nicht in ein festes Angestelltenverhältnis wieder einklagen könne … Und: Der todkranke Bucerius schlich für ½ Stunde herbei, er habe nicht versäumen wollen, mir die Ehre zu erweisen. Immerhin.
16. September
Das Leben – eine Skurrilität: Hochhuth, sich am Telefon überhaspelnd und nicht mal «Wie ist das Wetter?» fragend, NUR seine Sorgen und Autorenkümmernisse berichtend, erzählt dann aber die wirklich scheußliche Geschichte, daß seine (Ex?-)Frau ihm auf dem Postamt – wo er seine Postlagerbriefe holt – auflauert, ihn per Zettel auf die Straße rufen läßt und mit schwer beringten Händen – «sie trägt nie weniger als 3 große Brillantringe, von mir gekauft» – quasi zu Boden schlägt; jedenfalls so blutig schlägt, daß er ins Postamt zurückwanken muß, sich von den Brieftauben dort verarzten, die aufgerissene Lippe, den wacklig geschlagenen Zahn versorgen zu lassen, um dann mit verblutetem Hemd, Krawatte, Anzug durch Basel zu «radeln». Nach Jahrzehnten Ehe und gemeinsamem Kind …
Dagegen war ja gestern abend der Überraschungsbesuch von Inge Feltrinelli hier ganz bürgerlich (mit übrigens ganz besonders schönem Geburtstags-Nach-Geschenk: einer kleinen Skulptur von Pomodoro, den ich ja als Künstler schätze und den ich auf der Heine-Italien-Reise auch kennengelernt hatte). Vielleicht liegt es am Gewerbe. Jedenfalls war, was sie vom Verlag, ihrem Sohn (der Vaters Todestag groß begehen
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