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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Impressum steht?»), die damals, als Kissinger mal in Hamburg war und Sommer zur Gräfin sagt: «Ach, Henry ist heute abend bei mir zum Essen, soll ich Ihnen mal seine Nummer geben?»; die Antwort, sehr leise und wie es in alten Stücken heißt: nebenhin –: «Danke, ich habe die Nummer – er war gestern bei mir zum Tee.»
    Kampen, den 15. Juli
    «Im Augenblick der Produktion darf einem alles gefallen, alles als die schönste und beste Lösung erscheinen. Im Augenblick des Hinschreibens mag man in jeden Satz verliebt sein, hinterher aber muß diese ‹Affenliebe› des Verfassers der anspruchsvollen und verwöhnten Strenge des Lesers weichen. Nicht nur aber sein erster und sein bester, sondern auch sein unnachsichtigster Leser zu sein, halte ich für ein Grundprinzip jedes Schriftstellers.» Christian Morgenstern an Robert Walser, September 1906.
    Dieses Grundprinzip nun habe ich überhaupt nicht. Ich mag und kann nicht mein eigener Lektor – «erster Leser» – sein, bin auf peinlich-äffische Weise von der eigenen Prosa angezogen, lache oder weine gleichsam mit den eigenen Figuren und ihrem «Schicksal» (obwohl ich das alles doch selber erfunden habe).
    23. Juli
    Wunderbares «Lebensmotto» in einem bisher unveröffentlichten Gedicht Celans gefunden, das dieser Tage die FAZ druckte:
Schreib dich nicht
zwischen die Welten,
komm auf gegen
der Bedeutungen Vielfalt,
vertrau der Tränenspur
und lerne leben.
    Was meinen Zustand signalisiert. Inzwischen, da ich die Arzt-Diagnose habe, ist’s vielleicht nicht nur PHYSISCH?: Alles, alles ist wunderbar in Ordnung, vom EKG über die Leber zur Milz und zum Cholesterin – – – – aber die Bandscheibe, Halsnackenwirbel, ist kaputt. Das strahlt natürlich nicht nur in die Arme, sondern in den Kopf; der – bei mir? – vielleicht eben doch der Sitz der Seele ist.
    Ob man so arbeiten kann? Aber viele Kollegen haben ihre Arbeit einem siechen Körper, dem Schmerz, abgerungen. Muß ich mir bald ein Beispiel an Matisse oder Günther Anders nehmen? War es Hoffart zu glauben, ausgerechnet ich werde davon verschont und eines Tages rasch und ohne lange «Buß»-Zeit sterben?
    27. Juli
    Irritiert von der ewigen biographischen Lüge der Deutschen: Helmut Schmidt lobt bei der Eröffnungsrede des Menuhin-Frantz-Konzerts in Salzau (das SELFHELP gewidmet ist) diejenigen, die sich «von Anfang an auf die Seite der Gegner des barbarischen Naziregimes gestellt haben» – – – aber er war Hitlers Oberleutnant. Hans Mayer lobt im TURM VON BABEL die Ansätze der DDR, «die von keiner Geldwirtschaft vergiftet» menschliches Zusammenleben projizierte – – – aber niemand war schon in der DDR, dann später in der BRD so geldgierig wie Hans Mayer; er verkaufte sich nicht nur unentwegt teuer, sondern auch doppelt – z. B. qua Rowohltvorschuß auf die Memoiren, die dann bei Suhrkamp erschienen, ohne daß er etwas zurückzahlte. Er selber erzählte mir strahlend von den gigantischen Wiedergutmachungszahlungen, die er kassiert habe, NEBEN seinen Professorenbezügen und Honoraren von Funk, Fernsehen, Büchern, Zeitschriften. Er ist ja «eingestuft» worden als Generalstaatsanwalt oder Amtsgerichtsrat oder so was nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung: DAS wäre er aufgrund seiner Begabung und ausweichlich seiner späteren Karriere geworden – und da er das nicht verdient hat während der Emigration und danach, bekam er das ALLES AUF EINMAL ausbezahlt; es müssen viele hunderttausend Mark gewesen sein. Aber von der «vergifteten Geldgesellschaft des Westens» faseln (auch den DDR-Nationalpreis hat er fein einkassiert, natürlich nicht zurückgegeben, das Geld behalten).
    5. August
    Das steht bei Ernst Bloch, PRINZIP HOFFNUNG: «Der Jüngling ist mit der üblichen Umwelt zerfallen, und bekriegt sie, der Mann setzt an sie seine Kraft, oft mit Verlust seiner Träume, ja seines besser gewesenen Bewußtseins, aber der Ältere, der Greis, wenn er an der Welt sich ärgert, kämpft nicht wie der Jüngling gegen sie an, sondern steht in Gefahr, verdrießlich zu werden, maulend streitbar. Wenigstens dort, wo die ältere Person sauer wird, wo sie sich auf Geiz und Selbstsucht schlechthin zusammenzieht. Wünschbarer als je erscheint im bourgeoisen Alter das Geld, sowohl aus dem neurotischen Haltetrieb zusammengekrallter Hände, denen ein Mittel völlig zum Zweck wird, wie freilich auch aus der Lebensangst eines invaliden Wesens. Wein und Beutel bleiben dem trivialen Alter als das ihm bleibend

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