Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
will), selbst dem Handke/Hamm/Burda-Petrarca-Fest in ihrem Schloß erzählte, mir näher, interessanter und nicht NUR grotesk. Allenfalls die Schilderung, daß Lady Jane total dem Alkohol verfallen sei und der – wahrlich kein Kind von Traurigkeit – über ihr schlechtes Benehmen empörte Ledig androhte: «Dann müssen wir uns trennen, Jane.» Mit 84 Jahren. Die Menschen sind alle verrückt geworden.
Kampen, den 21. September
Bilderbuchtage – ein Bilderbuchtag – gehen zu Ende: perfekteste Septemberstimmung mit dem dünnen Licht und der Türkisdämmerung unter orangenen Abendwolken, wie ich sie so besonders liebe und die MEIN Sylt sind – über dem Meer noch der lila Kupferschimmer der Sonne, und über dem blitzenden Leuchtturm balanciert schon ein dicker trunkener Mond.
Aber ich bin nicht «leicht», die 2 Wochen hier haben mir nicht gutgetan, bin unvernünftigerweise nicht zur Ruhe gekommen.
Habe mir für morgen, für mein letztes (??) Frühstück, eine weiße Rose von meinem Grab gebrochen. Duftet sehr intensiv …
Parkhotel, Frankfurt, Buchmesse, Oktober
Die Hurenhaftigkeit dieses Berufs. Wie ein türkischer Bauarbeiter ins Vorstadt-Wohnwagen-Bordell geht man zum «Interview» in, tatsächlich, einen plüschausgeschlagenen Wohnwagen des SDR zu einem «Interview»: Heraus steigt Herr Mischnick, davor war der große neue Tolstoi namens Tilman Spengler «dran», sich in diesem Oral-Puff zu «erleichtern». Drinnen «bedient» irgendein Herr Lehmann mit der liebevollen Sorgfalt einer Soldaten-Hure, die «blasen» oder «wichsen» fragt – er kennt den Titel des Buches nicht, den Inhalt nicht und fragt, wann Band 4 erscheint und ob der – tote! – Held Bernd zurückginge in die DDR; vor Hast hat er auch nicht zur Kenntnis genommen, daß es keine DDR mehr gibt.
Die «Abtreibung» ist jetzt bereits abgetrieben.
Parkhotel, Frankfurt, den 10. Oktober
Ich stehle mir den eigenen Schatten: betrank mich ausgerechnet auf dem Geburtstagsfest, das mir am wichtigsten war, auf dem Rowohlt-Abend mit schönen Hommage-Reden von Ledig (!), Inge Feltrinelli, André Schiffrin und dem regelrechten, sehr elaborierten Festvortrag von Joachim Kaiser. Zog über meine Nervosität eine Alkohol-Haut, so daß meine Schlußansprache statt witzig lallend war. Ärgerte mich den ganzen nächsten (verlaberten) Tag über mich.
13. Oktober
Messeabschluß, ein lieblos-banales «Fest», gegeben von Carlo Feltrinelli «zu Ehren von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt» – der Gastgeber kommt nach den Gästen, die mit Henkell-Trocken begrüßt und wahllos an Tische zu schlimmem Fraß gesetzt werden; eine Rede, auch nur eine Begrüßung des Ehrengastes findet nicht statt …
Das Ganze in einem üblen, tanzsaalähnlichen Schuppen im Palmengarten (nicht etwa im Palmenhaus), die Gäste flüchteten noch vor dem Kaffee, den es nicht gab.
Ledig hat in der Bar des «Hessischen Hofs» neben dem Whisky immer ein Fläsch’chen Haarfixation stehen. «Wenn meine Haare abstehen, sehe ich so alt aus», sagt der 85jährige.
17. Oktober
Traurig, bitter und auch leicht amüsiert: der Abend «meiner» Stadt Hamburg mir zu Ehren ein Schlag ins Wasser – ein Interviewer, bei dem schlecht auszumachen war, ob er nur dumm oder auch noch bösartig war, eine lieb gemeinte, aber etwas mickrig-pflichtgemäße Rede der Senatorin, ein grausliches Buffet und ein – von Flimm verführt – anschließendes Besäufnis beim ewigen «kleinen Italiener», wo – anders geht’s in Deutschland nicht – gesungen wurde: «Wir lieben unseren Fritz»; Flimm, die Senatorin, SZ-Burckhardt, die Mikula, Roger de Weck. Kegel-Stammtisch statt ernsthafte Beschäftigung mit meiner Arbeit, sophistische Afferei über Tod, Homosexualität und Eitelkeit statt Diskurs. Der Moderator als Monologist, eigentlich gab er sich die Antworten selber, neugierig auf eine von mir nie; die stilistische figura dafür war: Der Mann unterbrach jede meiner Antworten (wollte sie also weder hören noch sich darauf einlassen). Woher so viel Haß – die ewige Frage.
Von heute an: Heilwigstraße, Hamburg, den 31. Oktober
Erstes Tippen im neuen «Arbeitsraum», den geradeaus sprechende Umzugsleute Keller nennen und ich Souterrain oder Gartenwohnung; als ich auf die Frage WOHIN MIT DIESER KISTE? antwortete: INS SOUTERRAIN, sagte einer von den Bubis: WO IS’N DES?, und als ich’s ihm erklärte, meinte er trocken: ALSO SIE MEINEN DEN KELLER.
Da sitze ich nun – und fühle mich ulkigerweise wohl: drei
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