Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
kleine Räume, vollgestopft mit Büchern, ollen anspruchslosen Möbeln, hell, warm, extrem ruhig. Mir scheint, hier kann ich arbeiten, wenn auch die Bibliothek noch – für lange – ein Chaos ist: Rimbaud hinter Shakespeare. Es war ihnen nicht mal das Alphabet beizubringen.
Letzte Bedrückung war die Hrdlicka-Skulptur und der abnorm aufwendige Transport mit 2 Riesenkränen über die Dächer hinweg, die Fotos sind Dokumente.
Albernerweise irritiert mich etwas, daß genau gegenüber – über den «Fluß» – was an sich der schöne Blick dieser Wohnung ist – Augstein sein neues Haus baut; ich sehe ihm praktisch, vor allem wenn die Blätter fallen, in die Fenster. Unangenehmer Gedanke bei jemandem, der vorgestern sich mit Antje zum Essen verabredete, sich betrank, ihr einredete, sie sei betrunken, und auf die Einrede der Kellner, die Dame sei NICHT betrun-
ken, sagte: WER MIT MIR SICH ABGIBT, MUSS BETRUNKEN SEIN.
Excelsior Hotel, Köln, den 5. November
Hier – vor wie vielen Jahren? – begann alles (und ich gehe gleich in jene Sauna, Spurensuche, wo es anfing …): Und hier lese ich nun heute abend aus «Abtreibung», dem 3. Band meines Bernd-Epitaphs – das Kapitel von seinem Tod; absurdes Leben.
Gestern in Hamm, vor 30 Leuten, 28 davon alte Nazis. Blockwartsweiber beschimpften mich wegen des Nazi-Schauspieler-Kapitels, Werner Krauss, nun gut, er habe den «Jud Süß» gespielt, was er denn hätte tun sollen – aber, wie er ihn gespielt habe, «so wunderbar überzeugend». Überzeugend! Sie sind unverbesserlich, sie haben marmorne Bäder und verschmutzte Seelen.
10. November
Mit Cafard zurück. Die Bizarrerie des Heym-Nachmittags ließ/läßt mich nicht zur Ruhe kommen. Der Ehekrach über sauer gewordene Kaffeesahne – «Ich hab dir doch gesagt, du sollst die Sahne nicht bei Meyer kaufen» – «Aber heute früh war sie ja noch gut, die von Meyer, und es war ein neues Töpfchen» – hatte mehr echte Intensität als seine Phrasen zum Sozialismus. Zwischen ihm und seiner Frau war eigentlich nur Jouhandeau-Geknarze, selbst noch im Auto – «Du mußt weiter links fahren, wir kommen ohnehin zu spät, warum biegst du hier nicht ab» –, aber meine Frage, wie er denn eine Sowjetunionreportage schreiben konnte und darin die Existenz von Lagern leugnen (die schließlich schon Camus «behandelt» hatte), wurde weggequackelt. Warum lügen sie alle? Warum sagt nicht wenigstens EINER «wir lügen alle» wie weiland die Boveri?
10. November
Leicht schräger Abend bei Liebermann: ich der einzige Gast. Geniert man sich, mich anderen «vorzuführen», oder muß ich das als besonders herzlich-privat verstehen? Ich jedenfalls käme nicht auf die Idee, Liebermann – oder wen immer – alleine einzuladen.
Das – gemietete – Haus eher unkonzentriert und nachlässig eingerichtet, kaum und dann nur mittelmäßige Bilder (Chagall-Litho!), auf die der Liebermann-Enkel (?) auch noch stolz ist.
Neidvoll-bedrückt aber seine (wenn’s nicht gelogen ist, er sich da kein Air gibt) Nicht-Beziehung zu «Dingen» – das Haus, in dem er erst seit 3 Jahren lebt, gibt er schon wieder auf und zieht in ein – ebenfalls gemietetes – Haus in die Toskana; «vis-à-vis von Fiesole» (wobei es Ehekrach über das Vis-à-vis gab: «Das heißt gegenüber, und das ist falsch» sie, «Du hast keine Ahnung von Deutsch» er, «Aber du verstehst kein Französisch» sie zu dem perfekt Französisch Sprechenden). Möbel, Bilder, Lampen – ihm sei das alles gleichgültig, nur eine Arbeitsecke, mehr brauche er nicht. Kam mir sehr kleinbürgerlich gegenüber dem ahasverischen Liebermann vor (was ich ihm auch sagte). Er geht aus Deutschland weg «wegen der Lügerei allenthalten», expressis verbis auch Hans Mayer und dessen verlogen-schmalzige Memoiren einbeziehend – – – – –
Und heute morgen rief dann 1 Stunde lang Hans Sahl (woher kann er sich das eigentlich leisten?) an, um u. a. über Mayer, Jens et tutti quanti zu klagen, um sich für den «Orden» meines kleinen Programmhefttextes zu bedanken, um mir zu LIEBER FRITZ zu gratulieren, nach dem er allabendlich nach dem Essen frage: «Gibt es noch ein bißchen LIEBER FRITZ?» und auf das «Erst dein Kompott» ein Wehklagen: «Kann ich nicht VORHER ein bißchen LIEBER FRITZ kriegen?» Aber GANZ EIGENTLICH wollte er über sich reden, über die Verrisse seiner Premiere, über die Nicht-Kritiken seiner Essaysammlung, und mein Irrtum eingangs, er wolle sich nach mir erkundigen und nach
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