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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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letztes. Aber jetzt habe ich Hunger.»
    Ich decke auf der Terrasse – Lachs, geräucherte Forelle, frische Butter, Vollkornbrot, Weißwein, alles verschwindet unter dem Ruf «Ich esse abends so gut wie nichts» in Blitzeseile – «Darf ich mir noch diese (die vierte) Scheibe Lachs nehmen?» –, die Forelle lächelt wie von Piranhas «gereinigt», der Wein ist alle. «Und nun den Käse, nicht wahr.» Der vorsichtshalber zarte Emmentaler (von wegen krank und schwach und Diät) bleibt verachtet liegen, eine Rolle Ziegenkäse ist weg: «Wunderbar diese Butter, wenn Jochen das noch wüßte, hast du noch etwas Brot, und der frische Camembert, auch sehr gut, aber ist das deine letzte Flasche Rotwein? Rotwein hat mir der Arzt empfohlen …» Es klingelt das Telefon, und während des halbstündigen Telefonats aus Amerika schleiche ich mich in den Weinkeller, höre beim Aufziehen der nächsten Flaschen nur Satzfetzen: «Ja, wir haben gerade ANGEFANGEN zu essen.» und «Herrlich, hier könnte ich länger bleiben.» Als die nächste Flasche zur Hälfte geleert ist und ich bereits erschöpft auf die Uhr sehe, erfolgt das Kommando: «Und nun gehen wir ans Meer, ich will doch den Sonnenuntergang sehen, das muß ich ja alles Jochen erzählen (!!!). Wir können ja den Rest nachher austrinken.» (Ihr Mann Jochen Mund ist lange tot.) In einem Nebelgemisch aus Müdigkeit und Besoffenheit wanke ich neben der wacker in festen Schuhen marschierenden 75jährigen – «Manchmal könnte ich lachen, wenn ich denke, daß ich 75 bin» –, die vor 14 Tagen von einer einmonatigen USAreise zurückkam, die Steilküste entlang, dann gibt es rote Grütze – «Du hast aber kleine Schüsselchen!» – und dann Portwein, den auch der Arzt verschrieben hat, und als ich um Mitternacht sage, ich müsse ins Bett, ist der Gast verwundert.
    Das so vorsichtig wie mühsam für die Diätbedürfnisse besorgte Frühstück, Magerquark und Margarine und Knäckebrot, wird etwas umgestaltet. «Ungarische Salami ist das? Herrlich, davon nehme ich auch, und von dem Pfefferschinken, Butter hast du doch genug da? Aber Brot, habe ich gesehen, ist nicht mehr viel, na, dann nehme ich für die Landleberwurst eben Knäcke, muß auch mal gehen, ist ja direkt Schmalhans Küchenmeister bei dir. Und nun muß ich mich zum Gottesdienst fertigmachen – ich freu mich schon auf das Singen. Und du mußt mich deinem Pastor vorstellen, von dem du dich doch beerdigen lassen willst, und mir auch dein Grab zeigen – ich bin schließlich eine alte Pfarrfrau …»
    Hotel Hilton, Berlin, den 7. Juli
    Was für eine Lebenskurve: nach Berlin, um den Verlag Volk und Welt zu retten – in «meinem» Zimmer, in dem ich verhaftet wurde … 1956.
    Gekauft wurde er, für 1 Mark!!, von einem Ringheft-Postkarten-Terminkalender-«Verleger». Die Panik dort verständlich. Das Erwerber-Bübchen hilflos-frech («Sie müssen jetzt die Ärmel hochkrempeln») und ahnungslos, was ein Verlag ist.
    Hotel Hilton, Berlin, den 8. Juli
    Der Abend mit dem alten Kumpel Gerhard Schneider, blaß, traurig und eigenartigerweise «ferner», «unzärtlicher» als unser Briefwechsel; es gibt Nähen, die sich im Persönlichen verflüchtigen.
    Statt gemütlichem Essen in einer Berliner Kneipe, wie ich es angeregt (und dummerweise die Platzreservierung ihm überlassen) hatte, standen wir erst vor einem geschlossenen Restaurant, gingen dann in den ehemaligen «Club der Kulturschaffenden» (wo ich mittags schon gewesen war) – die einzigen Gäste im gespenstisch leeren, muffigen Haus, wie im Speisesaal eines sinkenden Schiffes. Laut, bunt und lustig sind im Ortsteil nur die neuen Coca- oder Café-Möhring oder ähnlichen, neureich angemotzten Dinger, die «alten Stätten» versinken unter einer Bratkartoffeldecke. Nichts ist integriert – entweder oder. Das Alte ist oder geht kaputt, das Neue triumphiert kakelnd.
    Gerhard ausgelutscht von einem 8 – 18-Uhr-Arbeitstag, ohne innere Kraft zu mehr als zum Überleben, von Konzert, Theater, Kino, auch nur Lesen keine Rede. Kann nur von seinen Sorgen und seiner – inzwischen ungeliebten – Arbeit an für mein Gefühl obskuren Lexika (des Sächsischen unter besonderer Berücksichtigung von …) sprechen oder den 20 Bänden des Wieland-Briefwechsels (die ihm durch meine Vermittlung Reemtsma finanziert). Wer will die? «Die Wissenschaft braucht das» – woran ich nur sehe, wie wenig ich Wissenschaftler bin.
    Den Bauch voll salzigem Hering, Bier und Korn deprimiert um 23 Uhr ins

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