Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Bizarrerie nicht, daß er, der noch 1967 den Kommunismus und selbst Stalin verteidigte, nun einklagt, die westliche Linke habe sich nicht rechtzeitig genug von sozialistischen Ideen gelöst. Rechtzeitig heißt für ihn genau der Tag, an dem ER sich gelöst hat: August 1968. 2 Tage vorher wären das noch Lobsprecher des Kapitalismus gewesen.
Sonntag, den 9. August
Eberhard Fechner am Freitag gestorben.
Traurig – weil ich ihn mochte, weil wieder einer weniger ist, mit dem man gerne mal einen Abend verbrachte, und weil ich seine Arbeit interessant fand.
Die kühle Reaktion: Kempowski sagte nur, Fechner hätte ja neulich «bei Ihrer schönen Party» (da, bei Hans Sahls 90., sahen wir uns zum letzten Mal) so schlecht ausgesehen, und als er ihm – Kempowski – gesagt habe, er nehme nun keine Medikamente mehr, habe er, Kempowski, nur gedacht: «Nana.» Wie gut, daß er nicht weiß, daß umgekehrt Fechner zu mir gesagt hat: «Der Kempowski wird nicht mehr, der schreibt nie wieder was, der erholt sich nicht von seinem Schlaganfall.»
13. August
Gestern wie immer mittwochs zu Sauna/Massage ins Atlantic. Das Hotel umlagert von Hunderten von «kids»???
Nach der Massage dämmerte ich am Pool in der Liege und fuhr, wach werdend, hoch: Vor mir steht dieses Idol von Millionen. Der kleine Popsänger Michael Jackson. Eine totale Kunstfigur, garkein Mensch, ein Design, entworfen in den Plattenstudios bei Pepsi-Cola; ein von zig Operationen bis zur Geschlechts- und Alterslosigkeit entstelltes Gesicht, schwarze Brille und Walkman im Ohr (als höre er nicht genug Musik …), mit dem kleinen Arsch wackelnd wie ein Erpel, in spitzen Lackschühchen, bewacht von zwei überdimensionierten Bodyguards, die nicht etwa muskulös sportlich, sondern wie Pirelli-Männchen fett-aufgeblasen (dagegen sind Botero-Figuren von Bernard Buffet). Sie gehen wie überdimensionierte Schatten dieses Strichmännchens jeweils 1 Schritt vor, 1 zurück, je nachdem, wohin er sich wackelnd bewegt. Das Bürschlein, viele hundert Millionen Dollar reich, fährt in einem gepanzerten Bus, also praktisch in einem Panzerwagen, durch die Stadt, ohne Fenster, ohne Luft – in einer Art Geldtransporter. Was ja wiederum richtig ist – denn er ist ja nichts als eine ungeheuer teure Ware.
16. August
Am Freitag wundersamer Abend mit dem «Heidekind» Hummel, diesem spießig-freundschaftlichen Menschen, der mich einerseits in seinem selfconcern («Bitte etwas warmes Wasser für meine Pillen», verlangt er selbst in der Schwulenbar und «Daß deine Haushälterin aber auch das Frikassee sehr weich kocht» von mir) derart nervös macht, daß ich noch WÄHREND des Abends Hautausschlag bekam. Der aber andererseits so «zuverlässig»-freundlich ist, daß er nicht vergessen hat, was ich für ihn in Jahrzehnten getan habe. So kam er nicht nur mit einem 1000-Mark-Scheck, um mir im nachhinein die phantastische Majorelle-Art-déco-Vase zu schenken, die ich mir neulich in Paris gekauft habe (er hat mir immer nur Sachen geschenkt, die ICH mir ausgesucht habe – aus Unsicherheit), sondern auch eine veritable kleine Rede – vorbereitet – auf mich und die 25 Jahre, die wir uns kennen, in denen ich sein «Vater» gewesen sei, von dem er – politisch-ästhetisch, moralisch, literarisch – so viel gelernt habe, hat mich doch sehr gerührt.
Ganz gewiß sind diese Kleinbürger verläßlichere Menschen als meine mondänen Bekannten, wohl auch als meine egomanen «Künstler»freunde.
Kampen, den 30. August
Seit ich hier bin (und vorher schon in Hamburg), nur Anrufe der Mondänen mit Klagen über den Aufwand und die Mühsal – «Ich habe zu wenig Personal», «Mein Personal ist faul und nicht da», «Ich habe keinen Koch» –, die ihr ihre eigene Einladung zu Wapnewskis 70. verursachen. Wer hat sie denn gebeten (außer, fürchte ich, Wapnewski selber – der vielleicht mit «feinen Leuten» angeben und sich im übrigen die Kosten sparen wollte?)? Warum lädt sie Leute ein und findet sie bereits jetzt «fürchterlich», wo sie noch garnicht da sind, und ängstigt sich, sie könnten länger als ein paar Stunden bleiben: «Aber nach dem Frühstück müssen die weg» (ein Glück, daß ich so disponiert, einen eigenen Wagen habe und garnicht auf die Idee gekommen bin, dort «ein paar ruhige Tage zu verbringen»). Was das Geburtstagskind offenbar tat und auch noch bat, einen Sohn einzuladen, was empört: «Das geht nun wirklich zu weit» abgelehnt wurde. Ich höre nichts als: «Ach was,
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