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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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guten Wein können diese Germanisten doch sowieso nicht ästimieren, ich gebe einen kleinen Landwein» oder: «Champagner, wieso Champagner – das ist doch wirklich nicht nötig» oder: «Also für ein großes Essen habe ich wirklich keine Zeit und keine Leute – ne kleine geräucherte Forelle tut’s auch.»
    Proust (über den ich nun wiederum gerade beißende Sätze in Cocteaus Tagebüchern lese) müßte man sein: die wegwerfende Geste reicher Leute, die nur noch reichere gut bewirten (für Mrs. Getty wurde sich ein Bein ausgerissen). Wapnewski wird jetzt schon wie der lästige Hauslehrer, der too demanding ist, behandelt – muß mich SEHR beherrschen, ihm das nicht zu erzählen.
    Cocteau über Proust (träfe auf Fichte zu; dies aber die einzige Ähnlichkeit): «Er spricht von einer Sphäre, in der er nicht empfangen wurde.»
    Kampen, den 3. September
    1 Jahr älter.
    Ich werde schlecht alt.
    Tiefe taedium vitae -«Anfälle».
    Kampen, den 4. September
    Entdecke mehr und mehr eine (neben VIELEN anderen) unangenehme Eigenschaft bei mir: Wie aus lauter kleinen Kaleidoskop-Spiegelchen setze ich mir aus Lese-Bildern mein eigenes Portrait zurecht; will sagen: Ich streiche, ob bei Cocteau oder bei Kleist, Stellen an, in denen ich MICH charakterisiert finde. Bei Cocteau seinen Seufzer, wie bekannt ER und wie unbekannt sein Werk sei. Bei Kleist, daß er sich nie an dem erfreuen könne, was IST, sondern nur an dem, was NICHT ist. Letzteres wirklich sehr charakteristisch für mich.
    Lehenhof Thierberg, Tirol, den 8. September
    Gespenstisch liebloser wie lebloser Abend für Peter Wapnewskis 70. auf Onan. Die Seufzer der Gastgeberin gellten ja schon Wochen vorher durch den Äther – nun war’s also soweit, und siehe, es war nicht gut. Die per Taxi aus einem Hotel herbeigekarrten Gäste störten eigentlich 5 Minuten nach ihrer Ankunft, geradezu ostentativ gähnte das Schloß ohne Blumenschmuck, die Häppchen zu dem EINEN Glas Sekt (es wurde nicht nachgeschenkt) waren die kleinsten, die ich je sah, wie der Fingernagel des kleinen Fingers, dann gab es an einer ZU langen Tafel (so daß man sich außer mit der unmittelbaren Tischdame mit niemandem unterhalten konnte) EINE Scheibe Pastete, weißen Landwein aus Karaffen, die aber nicht auf dem Tisch standen, so daß die Gläser ewig leer blieben, dann ein dünnes Süppchen, dann Reh mit Pfifferlingen, aber so ungeschickt serviert, daß stets entweder die Pilze oder das Fleisch oder der Rotwein fehlten (oder alles wie bei mir und meinen Damen), der Rotwein ein Fusel, daß mir noch heute der Kopf brummt, dann KEINEN Käse, dann einen Eierbecher voll Eis, aufgedonnert mit einer «Inscenierung», z. B. der Lebensesche (Wagner, Wagner), aus Marzipan (peinlicherweise beobachtete ich am anderen Morgen, wie der ganze Wald von Marzipan-Eschen in großen Kartons verpackt und in ein Auto verladen wurde …).

    Außerdem liegt es an mir, daß mir solche Abende nicht (mehr?) gefallen: Es gibt kein einziges vernünftiges Gespräch. Bei Tisch gehört es sich nicht, und davor oder danach wird man von dem Herrn Baumgart – «Wie lebt es sich in Berlin?» – zu dem Herrn Sombart – «Was wollen Sie denn über Joseph Breitbach schreiben?» – oder zu der Dame Friedmann – «Wunderbar sehen Sie wieder aus heute abend!» – gequirlt. Mich interessiert aber keinen feuchten Fleck, wie Herr Baumgart lebt, ob in Berlin oder anderswo, und auch nicht, was der Herr Sombart schreibt, und mit Tankred Dorst weiß ich außer «Sie auch mal wieder hier» kein Wort zu wechseln, ich kenne sein Werk nicht, und es verführt mich auch nicht. Das Geburtstagskind durfte man nicht okkupieren, und NUR mit Enzensberger (der vor allem neugierig war in seiner Medienbesessenheit, ob man mir denn «jüngst Angebote gemacht» habe) konnte/durfte ich ja auch nicht sprechen. Das Ganze also ins Plumpe verfälschter Botho Strauß und letztlich dem eleganten Geist Peter Wapnewski nicht würdig.
    Hoch sonderbar dann auch mein Besuch bei des toten Peter Laudans Freund. Fängt damit an, daß SEIN Name nun auf dem Klingelschild steht, und hört damit auf, daß er geizig wie der Tote KEINE Scheibe Wurst im Eisschrank und EINE Flasche Wein im Hause hat.
    Meine abendliche Lesung aus «Abtreibung» mäßig, mir gefiel plötzlich mein eigenes Buch nicht mehr, fand die Bernd-Scene gleichzeitig zu lyrisch-ausgeschmückt und zu intim. Hofmeister, Wondratschek (glänzend aussehend wie sein Boxer) und Herburger (krank aussehend, sogar

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