Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Extravaganzen, die mich im rasenden Porsche umarmte und küßte, weil ich auf ihre Frage «Warum fahren Sie Zick-Zack?» antwortete: «Ich fahre Kaninchen tot» (in Wahrheit war ich betrunken). Ich hätte von Henry Miller zu Genet, von Uwe Johnson zu Dos Passos, von Kaiser, Kuby, Koeppen bis zu Konrad Bayer (nach dessen Beerdigung wir alle – Artmann, Rühmkorf, Hundertwasser usw. – im Prater Papierblumen schossen) ein wahres Leporello von Schnappschüssen fixieren können. Hätte. Ich fand’s damals unredlich. Und wüßte auf die Frage, warum ich das jetzt und seit Jahren nicht mehr finde, keine redliche Antwort. Es sei denn die der Monologisierung unserer Welt. Jeder spricht nur noch mit seinem Spiegel. Das ist der letzte Partner geworden.
Parkhotel, Frankfurt, den 1. Oktober
Unheimlich: Die Grundmusik der Buchmesse ist für mich seit 30 Jahren das ausgelassen aufspritzende Kindergeschrei auf einem Schulhof, auf den das Fenster meines semi-luxuriösen Zimmers weist. Seit 30 Jahren! Das heißt, es sind die Kinder der Kinder von damals!
Je näher der Tod, desto ergrimmter wehrt man sich gegen die Auslöschung.
Gestern makabre Begebenheit: Pressekonferenz des langsam sterbenden, einst so glanzvoll-mächtigen Verlages «Volk und Welt» (letzter Käufer abgesprungen). Ich, auf dem Podium, attackierte nicht nur – was nicht notierenswert wäre – abermals das neue ZK namens Treuhand, sondern erklärte mich mit Günter Grass und möglichen anderen Mitgliedern des Förderkreises bereit, in eine Kommandit-Gesellschaft einzutreten. Tief bewegt. Das Haus, das ich aufgebaut habe – «Der Geist von FJR prägte den Verlag bis 1989», hieß es in der Begrüßung –, der ich dort schließlich so schmählich behandelt, verhöhnt, überwacht und verhaftet worden bin – ich (u. a.) soll Retter dieses Verlages werden.
Lächerlicher Auftritt von Hochhuth, der zu spät – nach der aggressiven Diskussion – kam und, allen Ernstes, ein Buch aufklappte und eine «Dichterlesung» begann – und den Saal leer las. Literaten sind grotesk, egal bei welcher Leichenfeier und egal in welchem Schützengraben: Sie lesen vor. Hochhuth würde noch inmitten des schwappenden Eiswassers im Salon der untergehenden Titanic lesen … Während, da ich ihn unterbrochen hatte, die Diskussion weiterlief, flüsterte er mir nur die letzten Hochhuth-News ins Ohr: daß der Inselverlag keine Rezensionsexemplare eines Buches von ihm versandt und daß ihm X erzählt habe, Y habe gesagt, daß Z wisse, Rowohlt werde sein neues Stück «Wessis in Weimar» nicht verlegen. So brennend war/ist er am Schicksal von «Volk und Welt» interessiert –.
Parkhotel, Frankfurt, den 2. Oktober
Traditions-Mittagessen mit Gisela von Wysocki und Hans-Jürgen Heinrichs – dem nach wie vor händchenhaltenden und sich tief in die Augen blickenden, «Du hast heute so ein wunderbares Karma!» seufzenden Paar. Begann mit Fortscheuchen des verzagten Kellners, weil Heinrichs mir aus seinem neuen Roman vorlesen wollte bzw. vorlas. (Ein fiktiver Brief an mich, was wieder ganz lieb.) Wie immer bis zur Verstimmung verblüfft über das Selbstbewußtsein à la: «Ich habe das letzte Stück der deutschen Gegenwartsliteratur geschrieben.»
Parkhotel, Frankfurt, den 3. Oktober
Messe-Erschöpfung. Aufgescheucht nur zu einem Frühstück mit Carlo Feltrinelli, den ich ja schon als Kind kannte und der nun ganz der auf die Uhr schauende, vor dem Kaffee rauchende Manager ist. Ich wollte ihn in Sachen «Volk und Welt» anspitzen, was er sich mit gnädig-lauem Interesse vortragen ließ – ich in einer Art Bitt-Haltung. Ein Glück, daß ich nie etwas für mich zu erbitten brauche.
Die Audienz war nach 25 Minuten beendet, der junge Milliardär wartete nicht einmal ab, daß ich meine Cigarette nach dem Tee aufgeraucht hätte.
5. Oktober
Buchmesse, deren letzter Tag – alle Museen waren wegen Feiertag geschlossen – nur aus dem Abend bestand: die Radiosendung mit Peter Schneider, Schädlich u. a., die nicht gut lief, weil ich z. B. mit eingerollter Zunge sprach: Ich finde Schneiders Buch verheerend mißglückt und klischeehaft, bin aber mit Schneider befreundet und mag ihn wirklich. So konnte und mochte ich einerseits nicht scharf-polemisch sein, konnte und mochte andererseits aus meinem Herzen keine Mördergrube machen und ein schlechtes Buch loben. Heraus kam Wischiwaschi, da ich wiederum andererseits nicht so verlogen wie der «integre» Schädlich bin, der mir beim Spaziergang
Weitere Kostenlose Bücher