Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
vorher sagte, wie mißraten er das Buch fände und auf meine knappe Antwort: «Also werden Sie es loben» unumwunden antwortete: «Ja.» Was er auch tat.
Mich langweilt die Saison der halbgaren Romane und des Pseudorealismus, der außerdem so unexakt ist, daß getrost eine Figur aus «einem Gemälde Brekers» stammen darf; nun hat der Mann leider nicht gemalt …!
Die Abschlußpointe der Messe: Hermann Kant als Stasi-Mann entlarvt. Das kleine Ferkel.
Am Rande eines Abends mit Gästen bei mir das einerseits bizarr-lustige, andererseits auch wieder rührende Detail, daß Gerd im dunklen Anzug kam – wegen Willy Brandt (und später nach entsprechenden Gläsern sogar etwas weinte) und den Abend rezensierte, indem er klagte, wir hätten garnicht von/über Willy Brandt geredet (was nicht ganz stimmte, weil ich zu Beginn das 1. Glas auf ihn hob, expressis verbis : «Obwohl Sie, Freund Wunderlich, ihn nicht mochten.»). Irgendwie ist Gerd ein Kind geblieben – seit Wochen tobt die Schlacht wegen einer wunderschönen Meißen-Suppenterrine, die ich mir leichtsinnigerweise (weil passend zu meinem Biedermeiermeißen) geleistet habe; er war – «Denk an dein Alter, da hast du dann kein Geld» – gegen den Kauf – aber gestern abend führte er sie den Gästen als neueste Errungenschaft des Haushalts vor und genoß die Bewunderungsrufe, als habe er das Ding angeschafft …
Wobei ich vom Tode Willy Brandts schon nicht unberührt blieb – nicht nur, weil ich ihn persönlich gut kannte, oft mit ihm gesprochen/gestritten habe (er war, lang ist’s her, eines Abends bei Grass der erste Zuhörer, als ich aus dem 1. Kapitel meiner Marx-Biographie vorlas), sondern auch, weil man dann doch das Klopfen des knöchernen Fingers an die letzte Tür vernimmt. Der hat nun viel bewegt und bewirkt, war ein sogenannter «großer Mann» und hat wahrlich seinen Lebensbogen ausgeschritten – und eines Tages kommt eben der Sensenmann, und alles ist vorbei, und ein Gehirn, ein Herz, eine Courage sind Fraß für die Ratten.
13. Oktober
Fahre morgen ungern zu Tabori nach Wien, nicht wegen Tabori, den ich mag (und vice versa) und mit dem sich zu unterhalten immer ein Vergnügen ist. Aber das Thema! Ein Gespräch über den Tod! Erscheint mir – noch dazu mit einem sehr Kranken – indiskret, als würde ich ihn fragen, in welcher Stellung er am liebsten fickt oder wie oft er es noch pro Woche kann.
Die ZEIT schenkt ihrem scheidenden Chefredakteur (ca. 20 Jahre) zum Abschied – einen Strandkorb.
Hotel Sacher, Wien, den 14. Oktober
Der Vollmond steht über der Oper von Wien, die Stadt strahlt in der Oktobersonne. Töricht-banales Papperlapapp-Gespräch mit George Tabori über den Tod – was an seiner Liebe zum Caféhaus-Smalltalk und zu anekdotischen Witzchen scheitert.
Er lebt in einer «gerade den Koffer ausgepackt»-Wohnung, vollgestopft mit Kaufhausscheußlichkeiten und Flohmarkt-Schrums, den er für Antiquitäten hält, knapp, daß man eine Tasse kalten Kaffee bekam. Ein liebenswerter Ahasver und seltsam wirrer Theaterzauberer, dessen «Schriften» dann doch eher Gequassel sind (was den Büchnerpreis nicht verhinderte – aber da gibt es eben Verabredungen).
Typisch auch, daß er mich zum Abend (zusammen mit Gerd Voss) in ein Restaurant «bestellte», das er für «hervorragend» erklärte und offenbar auch hält, «wunderbare französische Küche» – und das eine drittklassige Kneipe mit fast ungenießbarem Essen war, irgendwelche in Knoblauchöl ertränkten Coquillen, saurer statt trockener Wein und Brot von der vergangenen Woche. Nun hat der Mann, der am Telefon zwischendurch mal ungarisch, mal englisch, mal italienisch und mal deutsch parliert, auf der ganzen Welt gelebt, man dächte, er sei «weltläufig», und nun verdient dieser alte Mann außerdem viel Geld – alles vergebens: Er weiß nicht zu leben, denn NUR ficken und Witzchen erzählen und Wunderkerzen-Regie (die mal gut, oft aber auch schlecht ausgeht) ist ja auch nicht «das Leben».
16. Oktober
Der 65. Geburtstag von Günter Grass (in der Presse begangen wie der 100. Oder wie Willy Brandts Tod). Eingeladen bei ihm draußen in Behlendorf, wo zwischen Hundegebell, in der Küchenschürze irgendetwas abwaschender Ute und ca. 12 Kindern der Jubilar erst mal nicht zu sehen war; dann HÖRTE man ihn – er gab ein Telefoninterview, und das Telefon hat einen Verstärker, so daß man das im ganzen Hause wie eine Radiosendung hören konnte.
Es war eine reine Familienfeier, bei
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