Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Berührend auch die «Ossi»-Liebe der Leute dort zu ihrer Arbeit, etwa des Museums-Direktors Peter Böthig, eines ziemlich jungen Mannes, der peu à peu aus dem zum Altenpflegeheim herunterdemokratisierten Gebäude wieder ein niedliches Landschloßmuseum mit in Plauen gewebten Damasttapeten, Spiegeln und Knobelsdorffbildern und paar hübschen Möbelchen macht. Sein berechtigter Stolz das Wiederherstellen der Privaträume Friedrichs, wo der immerhin den Anti-Macchiavell schrieb und die Korrespondenz mit Voltaire begann – und wo sich mit Wohnküche, Kachelbad und Fernsehecke der Chefarzt seine Wohnung hineinkriminalisiert hatte. Der Mann hat etwa den Elan, den ich noch bei Volk und Welt hatte – hoffentlich bereut er es nicht auch eines Tages so wie ich heute (oder wie ich ihn noch bei Rowohlt hatte: IM Kant berichtet der Stasi, daß ich «wieder» den ganzen Verlag in der Hand hätte und total das Programm bestimmte, zumal der Inhaber «Trinker» sei …).
29. Oktober
Montag abend Essen mit Simon von Volk und Welt, der ja nett, sympathisch und intelligent ist – der aber noch immer in Ossihaltung das Heil VON AUSSEN erwartet, von irgendeinem Käufer, vom Förderkreis, von der Treuhand. Nur eines geschieht nicht: ein überzeugendes Programm selber zu formulieren, das ja auch die Attraktivität des Verlages für einen potentiellen Käufer erhöhen oder überhaupt nur ausmachen würde.
Rührend allerdings und kollegial, daß er mir (einen ersten Schwung?) meiner Uralt-Gutachten mitbrachte, mit denen mich ja, laut der inzwischen toten Gisela Elsner, jemand erpressen wollte. Ich kann nur sagen: Da soll mal jemand pressen. Das ist, zwischen Joseph Roth und Barbusse, Maurice Druon und Arno Schmidt (!) – das soll mir mal einer nachmachen, DEN für die DDR empfohlen zu haben … – saubere Arbeit, akkurat, anständig und mit einem Aufwand an Intelligenz und Bildung, daß ich selber über diesen 24jährigen erstaunt war. Paßt ja gut zur Lektüre meiner Stasi-Akten …
Den ganzen Montag mit der Stützner Tucholskys SUDELBUCH redigiert, eine seltsame Mischung aus Banalitäten, dummem Zeug und hervorragenden Klein-Beobachtungen. Wie berühmt muß man sein, daß das ein Verlag veröffentlicht? Denn regelrecht reflektierte Tagebücher sind’s ja nicht – und selbst die «Heiligsprechung» durch die Mary wegen der paar letzten Sätze ist schwer zu verstehen. Wie das ganze Tucholsky-Phänomen, die nach wie vor hohen Auflagen: jetzt insgesamt viele Millionen verkaufte Bücher von jemandem, der seit 1935 tot ist und Journalist war: kaum zu fassen.
Das kann wohl dem, den ich mal für den Tucholsky «unserer Tage» hielt (fälschlicherweise), Rudolf Augstein nämlich, nicht passieren. Fast möchte man schnöde sagen: Er hat es versäumt, sich rechtzeitig umzubringen. Er ist nun vielstfacher Millionär und Besitzer von niemand-weiß-wieviel Villen und Landsitzen zwischen Elbchaussee, Sylt und Saint-Tropez – aber ein armes, stets betrunkenes Hühnchen, dessen mehr mit Alkohol als mit Tinte geschriebene Artikel – da vom Besitzer und Herausgeber – niemand zu redigieren wagt (offensichtlich) und der selbst in der Wagnerpremiere vom vergangenen Sonntag schweigend, viereckig und schwankend herumsteht, ohne mit jemandem zu reden. Gestern rief er mich, mittags um 13 Uhr, an: ein lallendes Wesen, den man kaum verstehen konnte, der irgendetwas von «Lilly» stammelte, bis ich begriff, er meinte Brandt und offenbar dessen Beerdigung, der Gaus, nein, nicht Gaus, äh, der, wie heißt der mit Katz und Maus noch, lallte, bis herauskam, er wollte mich fragen, wer die Gäste bei Grass’ 65. Geburtstag waren (was ja im übrigen hochinteressant ist), und sich, er schien kurz vorm Einschlafen, verwunderte, daß die SPD-Ministerpräsidenten, die nicht beim Queen-Empfang waren (der am selben Tag stattfand), nicht bei Grass und Engholm in Lübeck waren. Mächtiges Thema, um jemanden anzurufen, mit dem er 10 Jahre nicht telefoniert hat … ein Jammerbild, die nassen Reste einer enormen Begabung. Nun hat er alles erreicht, was hienieden zu erreichen ist – schöne Frauen, gut geratene Kinder, Erfolg, Macht, Ruhm, Reichtum, als Name gewiß eine Fußnote oder mehr in der Nachkriegsgeschichte: Und geblieben ist ein sabberndes Häufchen Elend, das einem leid tun kann. Fast eine Lear-Gestalt.
2. November
Abendessen vor 3 Tagen mit meinem Nachfolger Greiner, nett, leicht, unkompliziert: Es schmerzte kein bißchen, wenn er von langen Abenden bei
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