Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Botho Strauß, seinen Sitzungen mit Reemtsma, irgendwelchen Beratungen mit Ministern und Verlegern erzählte, wenn so nebenbei kam: «Den rufe ich morgen mal an …» oder «Da war ich gerade gestern …», und dann kam irgendein «großer Name». Das amputierte Bein zuckte nicht: Ich dachte vielmehr umgekehrt: «Ein Glück, daß ich das alles nicht mehr muß.» Wunderte mich allenfalls ein wenig, wie wichtig offenbar doch so ein ZEITfeuilletonchef ist – habe das irgendwie nicht wahrgenommen, als ich’s selber war, habe mich mehr in die Arbeit gestürzt, mich nicht richtig (von außen) gesehen. «Macht»?
5. November
Gestern abend der neue Chefredakteur der ZEIT, der sich gleichsam MIR vorstellte, der – glücklicherweise – garnichts von mir wollte, der auf zwei Worte reduziert den langen Abend lang («Ich trinke heute nichts» – und dann verschwanden 2 Flaschen Champagner, 1 Flasche Wein und 5 –! – Grappas mit drei Cappuccinos in ihm) eigentlich nur sagte: «Ich bin Chefredakteur.» Davon ist er so erfüllt wie ein Kind vom Heilig-Abend-Baum: «Ich sage, ich mache, ich werde nicht dulden, ich denke …» Der Mann ist nicht unsympathisch, übrigens sehr gebildet, selber Cellist (UND Tennisspieler UND Segler), und was er mir von/über Fontane erzählte, wußte ICH, der Fontanekenner, nicht. Aber er ist kein Herr – den ganzen Abend warf er mit Spitzen gegen seinen Vorgänger Sommer um sich, mit kleinen Bosheiten gegen (auch seinen) Arbeitgeber Bucerius und mit Sottisen gegen die Dönhoff («Ich muß vor allem sehen, wie ich die alte Dame ruhigstelle»). Das tut man nicht.
12. November
Muß man am Ende seines Lebens noch emigrieren? Die Deutschen haben NICHTS gelernt, und der DDR-Antifaschismus war eine Lüge wie alles dort, eine Art Pro-Mille-Fahrverbot, eine Tünche, die nun wie Nagellack abplatzt. Kein Tag, an dem nicht Neo-Nazi-Überfälle, Schändungen jüdischer Friedhöfe oder die Störung selbst der Weizsäcker-Demonstration in Berlin gemeldet werden. Die Politiker sind dumm und schwafelig, die Polizei sieht nur auf dem linken Auge (wie in Weimar!!!), und der riesige Machtapparat des Staates (den man doch gegen die RAF wohl einzusetzen wußte) «hält sich bedeckt». Überlege, in der ZEIT eine Variante von Tucholskys «Tabellenzeitung» zu publizieren: gegen links allemal.
Eine winzige Scene (die mir Erika Hofmann aus Düsseldorf berichtete) ist so schlimm wie eine aus Brechts «Furcht und Elend des 3. Reiches», für mein Gefühl schlimmer als ein paar randalierend eingeschlagene Schaufensterscheiben: Eine alte Frau wird in der Innenstadt in einer Telefonzelle von 3 Skinheads bedroht, mit dem Messer; sie käme da nur heil raus, wenn sie den Hitlergruß machte. Sie wird nächtelang nicht schlafen können. Ein Alp, der mir an den Hoden weh tut.
16. November
Testament gemacht. Komischer Vorgang.
«Den Tod überlisten …»?
18. November
Im Grunde witzigerer Abend als der davor mit Antje Ellermann, die – was ich gemütlich finde – wieder zu einer unprätentiösen Suppe kam – von der aber wenig kommt. Sie ist ein seltsames Geschöpf, noch rascher als ich (obwohl viel jünger) ermüdet – aber auch INNERLICH müde, mehr interessiert daran, wer mit wem oder nicht schläft oder ob Paul Wunderlich viele Frauen hatte, oder sehr gespannt zuhörend, wenn ich von früheren Frauenabenteuern erzähle (und davon, daß Augstein mir immer die Mädchen ausspannte – wie er ja beim Essen stets nimmt, was man selber bestellt hat; man muß stets das bestellen, was man NICHT will, damit man bekommt – nämlich seins –, was man will) – mehr an so was interessiert als etwa an meiner Auschwitz-Empörung. Immerhin habe ich in «gesetzter Rede» am letzten Freitag die gesamte ZEITredaktion dazu bewegen können, eine pro-Kopffreiwillige Spende (die dann durch eine größere von Bucerius aufgerundet wird) zu leisten, um den schmählichen Verfall des KZ aufzuhalten. Es ist unglaublich, wie hartfellig dieses noch immer reiche Land ist, daß man zuläßt, diesen Namen – der auf Generationen mit der Geschichte der Deutschen verbunden sein wird – abermals besudeln zu lassen. Schmach und Schande. Sie sind noch immer und auch schon wieder übel, verdächtig und unheimlich – die Deutschen.
Antje ist lieb, ein guter Kerl und ein guter Freund (mit der Macke, sich Liebe und Zuwendung kaufen zu wollen, indem sie allen möglichen Leuten kleine Konten einrichtet) – aber in ihr nistet eine Mischung aus
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