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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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kleiner Dackel, mit Marinekleidchen, abstehenden Zöpfen, in «Uniform» auch in ihrer «Tach»-Haltung, zu mehr traute sie sich nicht; und wir fuhren raus zu Wunderlichs aufs Land (wo ja gleichaltrige Kinder waren, u. a. mein Neffe Peter), die Gören hatten ein verschmiert-dreckig-fröhliches Kinderwochenende mit Spiel und Fackeln und Essen im Freien usw., und als ich montags Katharina ans Flugzeug brachte, weinte sie herzzerreißend, klammerte sich an mich und schrie: «Ich will nicht nach Hause. Bei dir wird so viel gelacht, bei uns zu Hause wird nie gelacht.» Nein, gelacht wurde bei diesem rabiaten Trunkenbold nie, nur belehrt (die beste Scene in der Biographie ist die, wie Jurek Becker sich vor dem schwarzlederbekleideten blonden Halbglatzkopf fürchtet, der ohne Dezenz in seiner jüdischen Vergangenheit rumbohrt; er begriff das wohl als «Neugier des Romanciers»).
    Eine andere Scene habe ich ja in einem Roman «verwendet», d. h. umgebaut: ein Abend bei mir am Leinpfad mit Ledig, seiner Frau Jane, Feltrinelli, Giese, James Baldwin. Wie er den anschrie: «You are not a writer» , und als Jimmy auf großes pathetisches Predigerformat auflief à la «The bones of my ancestors are buried in the soil of America» oder so, schrie der puterrote, betrunkene Deutsche den amerikanischen Neger an: «And you are not even a negro.» Die empört intervenierende Jane wurde geschlagen und aufs Sofa geboxt, so daß ihr überreicher Schmuck von ihr abfiel wie die Kugeln vom Weihnachtsbaum. Anschließend fuhr das deutsche Genie mit Ledig in den Puff, d. h., Ledig wollte – wohl auch zur Ablenkung und «Beruhigung» – dorthin, wurde aber in seiner Chauffeur-driven-Limousine von Johnson verprügelt und aus dem Auto geworfen. «Den seh ich nie wieder», sagte Ledig nexten Morgen.
    Gewiß, aus so was soll eine Biographie nicht bestehen. Aber wenn sie so garkeinen Farbtupfer dieser Art auf der Palette hat, sich nur von einem «Und dann machte er Abitur» (übrigens, weithin unbekannt, mit einem stalintreuen und DDRhymnischen Abituraufsatz) hangelt zum anderen «Und dann schrieb er an Peter Suhrkamp»: Dann ist das eventuell brav. In jedem Fall aber fahl.
    Manchmal denke ich, ob man das Werk nicht neu untersuchen müßte. Ist es WIRKLICH so bedeutend, wie auch ich betone und beteure? Ist es nicht doch dröge/bösartig/charme-los wie schamlos, mehr Notatprosa als von epischem Schwung?
    5. November
    Wenn ich doch mehr lachen könnte. Wie über den «HUBERT FICHTE LITERATUR PREIS», den jetzt die feine Hansestadt (die den Mann TOTAL ignoriert und nie je mit 1 Pfennig unterstützt hat) ausschreibt: Das ist schon lustig, wie Fichte weit über den Tod hinaus Hochstapler geblieben ist und auf Schamanenweise die Welt mit seinem schrillen Kriegsruf ICH BIN EIN GANZ GROSSER DICHTER überzeugt (über-zeugt!!) und behext. Bald wird es einen Hubert-Fichte-Platz geben, hoffentlich mit ner Klappe in der Mitte … Seminare, Secundärliteratur und «Interpretationsmodelle» gibt es schon, auch eine «Retrospektive» im Funk mit 12 seiner «Hörspiele», die ja nie welche waren, sondern frech montierte Textchen.
    27. November
    Einladung bei dem Fernsehansager Wickert (der früher Korrespondent in Paris war und deswegen den Franzosen spielt): grauenhafte Wohnung mit dem Prunkstück eines Bacon-«Lithos» – was heißt, daß er keine Ahnung hat und nicht weiß, daß es KEINE LITHOS VON BACON GIBT, der umgekehrt sogar die Kunst der Lithographie haßte. So, wie Grass von meinen «Stilmöbeln» spricht, wenn er Antiquitäten meint – so dekoriert sich der deutsche Intellektuelle die Wohnung mit Mist. Dafür belehrte er alle seine Gäste nicht nur, welcher Käse welcher ist (wir haben ja alle noch nie in unserem Leben Käse gegessen und waren ja auch noch nie in Paris), sondern auch, WIE man ihn ißt. Grotesk: Bis zu Günter Grass ließ jedermann sich das sagen und fragte brav: «Ach, und das ist also Ziegenkäse, und ißt man den ohne oder mit Rinde?»
    3 Tage Berlin, als Vorwand der Empfang zum 65. Geburtstag von Gaus (wo fast NUR Ossis waren, von Hermlin über Heym zu Hein), ich wollte mir aber 2 – 3 «schöne Tage in Berlin» machen. Das Ergebnis dieses Hedonismus-Versuchs: Die Castorf-Premiere am 1. Abend fiel aus, ich endete lustlos und einsam bei Fofi speisend. Lettau, der operiert und leidend und dem ich einen kleinen Teebesuch vorgeschlagen hatte, sagte nicht mal ab. Karsten Witte, dito Teebesuch, stirbt – ein grauslicher Anblick und ein

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