Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
zeigen oder aus einem Text vorzulesen, ruft meist gelangweiltes Befremden hervor. Aber man ist doch DESWEGEN mit ihm befreundet, weil er macht, was er macht? Neulich an dem Abend bei mir saß er wie nackt da, als er auch nur VON dem Inhalt des neuen Buches erzählte – vorzulesen hat er sich schon garnicht mehr getraut (obwohl ich sicher bin, er hatte ein Manuskript dabei und hätte auf Aufforderung hin gerne gelesen).
Im Osten war’s genau umgekehrt: Weniger das Resultat zählte – das ja auch bei der Industrieproduktion schäbig war – noch etwa das Geldergebnis, weil das Geld ja nix wert war und keine Bedürfnisse befriedigen konnte (die, von BMW bis Mallorca, in den Bereich der Träume abgedrängt wurden). Aber der VORGANG Arbeit war wichtig, war ein Stück Identifikationsangebot (weswegen jetzt Arbeitslosigkeit dort viel schwerer auszuhalten ist), Arbeit war ja – gemäß der marxistischen These – ein Teil Menschwerdung (the tool-making animal) und damit auch kommunikativ: Man SPRACH über seine Arbeit und die durch sie eventuell produzierten Widerstände. Arbeit war also – im Gegensatz zu hier – GESPRÄCHSthema, während im Westen das Weg-von-Arbeit (Lotto, Urlaub, Feiertage, Weekend, Kino usw.) Gesprächsthema ist.
1. Oktober
Drinks mit dem neuen Chef des ZEITmagazins.
Meine Höflichkeit – «Erzählen Sie mal von Ihren Plänen» – nahm er grob-deutsch für bare Münze und plapperte 1 volle Stunde von so wunderbaren Dingen wie einem Interview mit Karl Lagerfeld. Nicht auch nur die ANDEUTUNG eines Interesses an MEINEN Plänen, am Autor FJR – der sich dann anbot wie eine Hure auf der Reeperbahn: «Ich hätte da auch noch eine Idee.»
Da war dann deutlich, daß der junge Mann nicht auch nur die Namen kannte, die ich nannte – Matta hielt er für ein spanisches Gericht, Condorcet wahrscheinlich für ein Parfüm und Adami für eine Hemdenmarke. Mein Vorschlag, etwas über/mit Adami zu machen, wurde mit «Die Copytests zeigen, daß bildende Kunst nicht interessiert» beantwortet (wieso sind dann eigentlich die Museen überfüllt?). Also Copy-Test-Journalismus, was man beim TV Einschaltquotenjournalismus nennt. Mein Vorschlag, auf den «Spuren von Lima» nach Cuba zu fahren, verstand er auch nicht, weil er nicht wußte, wer Lima ist, vermutlich hielt er das für ein lateinamerikanisches Land.
Und wo holt man sich seinen Trost, seine Tröstchen? Bei der Klo-Frau. Als ich ging und an der Garderobe des Vier Jahreszeiten nach meinem Mantel fragen wollte, kam mir die Garderobenfrau zuvor und kramte den unter Hunderten hervor: «Solche Herren wie Sie gibt es nicht so oft, die merkt man sich.»
Wie weit runtergekommen in seinem Selbstwertgefühl muß man sein, um derlei – à la Thomas Mann, der ein Zurkenntnisgenommenwerden durch den Steward auf dem Schiff notierte – aufzuschreiben.
22. Oktober
Direkte Fortsetzung der gestrigen Eintragung: Abendessen mit Rowohlt-Naumann, den ICH eingeladen (was er auch zuließ!), dem ich zuvor geschrieben, diesmal möchte ich über MICH – also den Rowohlt-Autor, den fast fertigen Roman und diverse Pläne – sprechen.
Schon das gelang kaum – ohnehin kann man ihn NIE länger als 20 Minuten «bei der Stange», i. e. bei EINEM Thema halten, schwuppdiwupp ist er beim Journalistenklatsch; diesmal also – ich hatte die paar Pröb’chen aus dem Roman, die im Hamburger ZIEGEL erscheinen, vorher mit der Bitte um Lektüre geschickt – mußte ich förmlich grob beim Aperitif sagen: «Bitte jetzt noch keinen Klatsch, das können wir nachholen, wenn wir bereits besoffen sind, ich WILL jetzt mit Ihnen Tacheles reden.»
Das gelang mühsam, er sah aus wie vergewaltigt.
Beim Klatsch zum Bordeaux dann war amüsant, wie hingerissen er von Harpprechts (Anti-)Thomas-Mann-Biographie erzählte; also wieder sprach der neugierige Journalist; lustig und verblüffend natürlich, wie der sein Leben lang auf Herr getrimmte Thomas Mann mies und raffig und halb betrügerisch in Gelddingen war: Die Honorare für ostdeutsche und sowjetische Ausgaben ließ er sich vom russischen Botschafter in Zürich in bar auszahlen – und sein Verlag S. Fischer ging leer aus. Herr Buddenbrook als Plusauflagenraffke …
Nachzutragen noch grotesk-hastiger Anruf von Hochhuth, der wie stets am Telefon einfach anfängt zu reden, kein «Guten Tag», kein «Hier ist Rolf Hochhuth», NATÜRLICH kein «Störe ich?»; er strotzte wieder von Pennälersottisen, daß der Herr Muschg verbiete, daß seine
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