Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
hängen doch Fetzen meines Lebens zusammen: wie Horst Janssen bei dem ebenfalls längst toten Seitz den nun auch toten Ernst Bloch beleidigte, der schließlich weinend im Bette lag und von Ledig und mir getröstet werden mußte, oder wie er betrunken meiner Schwester und mir ins Restaurant folgte, wo er ihr eine Rotweinflasche über den Kopf (und das neue weiße Kostüm) goß, um anschließend das gesamte Lokal zum Champagner einzuladen. Oder Heiner Müller: unvergeßlich jener Abend der sterbenden DDR, wir saßen mit Inge Feltrinelli in der Bar des GRAND HOTEL, er zeigte uns den Hirschgeweih- und Kunstledersessel-Raum, der für Honecker reserviert gewesen, sagte mir sein neuestes Gedicht auf, das mir so gefiel, daß er es mir auf drei Zettel schrieb (einer meiner schönen, nun in Marbach archivierten Autographen), bat Inge um eventuelles Asyl in Italien und bescheinigte Gysi, der beste Mann für die Rettung des unermeßlichen SED-Vermögens zu sein: ein melancholisch-zynischer Abend, unten in der Hotel-Halle tanzten aufgedonnerte Schieber, und ich heulte, als sei es «meine» DDR, an der Brüstung zu dieser TITANIC-Szene.
1996
Kampen, den 3. Januar
Seit 3 Tagen nun auch außen grau: Symbol für das angebrochene Jahr?
Der Silvester-Abend still.
Der Heine-Gaurisankar, vor dem ich mich graule (obwohl’s mir Spaß macht), mich ängstige, ob ich mich nicht übernommen habe – und nun die Cuba-Reise, die mich in meiner Phantasie ganz anderswohin lockt.
Zittrigkeit: das Alter. Empöre mich, wenn Gerd beim Tod eines 70jährigen sagt: «Der hatte doch sein Leben hinter sich.»
Nur: Ich FÜHLE mich nicht alt, gar sterbend – nicht im Kopf. Die Zipperlein sind da, selbstverständlich, und sollen hier nicht aufgelistet werden (dann brauchte ich viele Seiten …) – aber wenn ich merke, mit welcher Lust (Angst nur wegen des Termins) ich mich in das Heine-Abenteuer stürze, wie gespannt ich auf Cuba bin, wie ganz hinten in meinem Kopf ein Bändchen Erzählungen entsteht: Warum soll man da bald in die Grube fahren? Aber dieses Warum ist so unsinnig – das hat sich der knapp 2 Jahre ältere Heiner Müller ja auch gefragt, WÖRTLICH.
7. Januar
Gestern abend Grass zum Essen, ein Besuch, vor dem ich mich leicht gegrault hatte: Ich kann ja nicht lügen und sein Buch loben, das mir tatsächlich mißlungen scheint; andererseits will niemand zu einem Abendessen geladen werden, um sich anzuhören, er habe Mist geschrieben (fände ich umgekehrt auch nicht amüsant).
Es war ein ziemlich alt gewordener Grass (wir hatten uns das letzte Mal Silvester 1994/95 gesehen, also vor über einem Jahr). Alt und müde, gequält von Tucholskys Krankheit, irgendwas am/im Siebbein, wodurch er immer wieder für Tage Geruch und Geschmack verliert, außerdem hatte er eine Bruchoperation und muß morgen mit einer verstopften Arterie im Bein aufs neue unters Messer.
So zog er sich in einen Panzer aus nur leichtem Trotz und milder Ironie zurück; den Vorwurf, daß man dem SPIEGEL – noch dazu er, dem dieses Revolverblatt einen Spion nach Indien nachgeschickt hat – eben überhaupt kein Interview gibt, akzeptierte er. Die EIGENTLICHE, nämlich ästhetische Debatte aber fand im Grunde nicht statt, mein Einwand, die ästhetische Apparatur des Buches stimme nicht, die Figuren ertränken in Kommentaren und Artikel-ähnlichen Suaden (die noch dazu – «Ein Schnäppchen DDR» – erkennbar SEINE, die des Autors seien) – – – das wehrte er in einer Mischung aus unwirschem Desinteresse, Lob auf die gute Fischsuppe und dem klammen «Das kann man nur direkt am Text diskutieren» ab. Er hatte – ähnlich mir – deutlich keine Lust zu regulärem Streit und findet die Herummeckerei zugleich auch ein Sakrileg, denn: «Meine Leser haben mich nicht verlassen» (als sei eine hohe Auflage ein literarisches Kriterium; dann wäre Simmel der Sieger über Kafka). Diese gewisse papale Gereiztheit zeigt sich am deutlichsten, wenn ich von MEINEM Schreiben erzähle – taktvollerweise ohnehin nur nebenher und in Andeutungen. Aber der eine Satz «Ich habe einen neuen Roman fertig» wurde mit geradezu donnerndem Schweigen beantwortet. Daß ein Essayband erscheint, das «durfte» ich. Summa summarum: Auch dies, fürchte ich, ein kleiner Abschied, gleichsam unter dem Motto «nicht mal mehr Krach». Wir sind im Guten auseinandergegangen, aber ohne die Intensität der großen Freundschaft. Es ist die nachlassende Erotik des Altwerdens.
Ein wiederum anderer Abschied,
Weitere Kostenlose Bücher