Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
trug ein scharlachrotes Gewand mit zimtfarbener Schleppe, dazu ein Rubin-Collier» – sind bereits vorgeformt im – – – – – Nibelungenlied! Der – unbekannte – Autor wird in der Literaturwissenschaft als «Stoff-Fetischist» bezeichnet, weil er so hingebungsvoll Roben und Rüstungen und verzierte Waffen schildert, es gibt regelrecht «Schneider-Strophen», weswegen einige Literaturhistoriker annehmen, der Mann WAR Schneider.
Seit Tagen Brasch-Absurditäten-Kabinett. Am Telefon ein Autor, der zwischen Haß-Ausbrüchen und Unterwürfigkeitsgesten gegen seinen Verleger Unseld hin- und hergeworfen ist (die er mir alle endlos am Telefon vorliest, betonend, er sei pleite); mal im Ton von «Siegfried, vergib» und mal ein mehrere Seiten langes Wut-Gedicht. Anlaß ist sein auf nunmehr 6000 (!!) Seiten angewachsenes Manuskript, mit dem der Verleger (verständlicherweise) offenbar nix anfangen kann, das er in seiner Not als «möglichen Faksimile-Druck» anbietet, von dem auch mir nach stundenlangen Gesprächen nicht klar ist, ob Roman, dazwischen Gedicht, auch Reportage über irgendeinen Bumke, den niemand kennt (was ja egal wäre – DANN kennte man ihn, if so …). Brasch, der mich eben beschwört, einen Verlag zu gründen, sagt im nächsten Moment, die Zeiten der üblichen Verlegerei seien vorbei, er bestelle sich jetzt 1000 Tüten in San Francisco, lasse 1000 Manuskript-Kopien herstellen und verteile die, Otto Sander habe ihm gesagt, er kaufe SOFORT so eine Tüte für 1000 Mark, und dann hätte er doch soundso viel Mark, 1000 mal 1000. Mein Einwand, Sander würde, wieder nüchtern, keine 10 Mark dafür ausgeben, ernüchterte Brasch wiederum.
Nun will er – nachdem dem Verlag offenbar jährlich wechselnde Fassungen zwischen 300 und 4000 Seiten vorliegen – eine «Kurz»-Fassung von NUR 1000 Seiten hinschicken und dafür SOFORT Vorschuß haben (zum Vorschuß habe sogar ich ihm geraten, weil seine Bank ihm den Kredit sperrt, und woher, wenn nicht von einem Manuskript, soll Geld kommen?). Fast kann einem der unsympathisch-klobige Unseld – dessen Chauffeur letztlich von seinen Autoren bezahlt wird – leid tun: Jeder Walser, Handke, Bernhard will NUR, daß er sich um dessen Manuskripte kümmert, sie sofort liest, druckt, bewirbt; und eben auch ein Brasch, zu dem er brutal, aber nicht ganz falsch sagt: «Sie sind als Autor vergessen.»
Der Auto-Tod der englischen Prinzessin mit dem Pharaonensohn füllt meine Phantasie, es müßte ein Essay geschrieben werden über das Auto als Todestransportvehikel – James Dean und Kennedy und Walther Rathenau und Grace Kelly und Camus und nun diese britische Soraya. Gut, daß die mörderischen Fotografen keine Deutschen waren.
Kampen, den 4. September
Steigender Ärger über die Proust’sche Schmuck-Prosa voll «Onyx-Augen» und «azurblauem Licht in den Augen» und Farbräuschen, die tatsächlich kaum zu ertragen: «In dem Sonnenschein, von dem am Horizont die gewöhnlich unsichtbare Küste von Rivebelle mit Gold überflutet wurde, unterschieden wir, kaum abgegrenzt gegen das leuchtende Himmelsblau, aus dem Wasser aufsteigend, rosig, silbern, unmerklich, die kleinen Angelusglocken, die rings um Féterne her läuteten» (selbst wenn es falsch übersetzt ist und man nicht die Glocken, sondern ihr Läuten unterscheidet – die Übersetzerin kann ja diese Farbpostkarte nicht VOLLSTÄNDIG erfinden).
«Als die Tür sich öffnete, strömte das rosige Licht uns entgegen, das den Raum erfüllte und den weißen Musselin der vor dem Abendhimmel ausgespannten Vorhänge in morgenrotfarbene China-Seide verwandelte. Die Möwen hatten sich von neuem auf den Wellen niedergelassen, doch jetzt sahen sie rosig aus.» – Das sollte ich mal, nicht als Zitat kenntlich gemacht, in einem Text von mir einbauen!
«Und die gleiche rosig durchglühte, doch perlmuttfarbene Blässe lebte in den marmorhaften Wangen zugleich von Mutter und Sohn.»
Manches liest sich, als habe er schlicht den Gotha ausgeschrieben: «‹Der Herzog-Titel Aumale ist lange in unserer Familie gewesen›, erklärte Monsieur de Charlus dem Marquis de Cambremer … wir hatten den Vortritt vor allen ausländischen Fürsten … als die Prinzessin von Croy bei der Beisetzung von ‹Monsieur› (das war der König) niederknien wollte, bevor meine Urgroßmutter es getan hatte, machte diese in aller Kühle darauf aufmerksam … der Herzog von Burgund war zu uns Vorreitern mit erhobenem Stab gekommen, wir erreichten beim König,
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