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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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daß sie ihn senken mußten …»
    Das geht seitenlang so: «Und zwar hatte die Herzogin von Guermantes diesen Rang, obwohl sie auch für ihre Person durch ihre Mutter eine Nichte der Königin von Polen, der Königin von Ungarn, des Kurfürsten von der Pfalz, des Prinzen von Savoyen-Carignan und des Prinzen von Hannover war, der später König von England geworden ist …» Puh. Das Schlimme: Das ist die AUTORENSPRACHE! Wenn er es als Charakterisierungsmethode für alberne Geblähtheit benutzte, ginge es noch, obwohl – das tut er ja manchmal bei Charlus – es auch da lächerlich wirkt, zumal unwahrscheinlich, daß jemand sich so gebärdet: «Viele unserer Titel übrigens sind uns vom Hause Lothringen zugekommen durch Thérèse d’Espinoy, meine Urgroßmutter, die die Tochter des Damoiseau von Commercy war …»
    Aber wenn sich all das seitenlang wiederholt, wenn immer wieder der «apfelrote Teint» (??), wenn eine «Liebes-Scene» sich so liest: «… ihren Kopf zwischen meine Hände nahm und ihr die weiten überschwemmten stummen (!) Wiesen zeigte, die sich im sinkenden Abendlicht bis an den Horizont erstreckten (im Morgenlicht also nicht?), der von den in gleicher Richtung verlaufenden Ketten ferner bläulicher Hügel abgeschlossen war», wenn eine lesbische Scene «ein optisches Phänomen» ist, in dem «eine Art von phosphorisierender Bahn von einer zur anderen lief» – – – dann ist das nichts als schriftstellerische Impotenz.
    Kampen, den 6. September
    Was mich am Tod respektive dem Umgang mit diesem Tod der englischen Prinzessin stört: als sei nur SIE gestorben, tagelang kein Wort über den mit verunglückten Freund, den toten Chauffeur (dessen Namen man erst nach 1 Woche erfuhr), den schwerstverletzten Leibwächter. Und die Massenhysterie (die selbst die Königin aus ihrem Schweigen vor die Kamera zwang), als sei da nicht eine Soraya der 90er Jahre durch eigenen Leichtsinn umgekommen, ein Playgirl, das sich an die Bucht von Saint-Tropez auf die Yacht eines Kaufhausmilliardärs «zurückzog», bei der Versace-Beerdigung in der 1. Reihe saß – kurz, eben jenes Leben führte, das ihr Illustrierten-Abbild auch zeigte. «Ein Herz für die Armen»?? Wieviel von ihren 70 Millionen hat sie denn wann und wo für wen gespendet? Für die auf Fotos so dekorativen Negerkinder? Interessant, daß die Massen so was zu einer «Ikone» machen, ihr Oberflächlichkeit, unverdienten Reichtum, Halbwelt-Leben verzeihen. Idol ist, wie man selber leben will. Also so?
    9. September
    Eben verläßt der Fernsehmann Wickert nach 2 Tee-Stunden das Haus, in denen er sich von mir die Dramaturgie des morgigen Abends – mitschreibend – einblasen ließ, an dem ja mein Heine-Buch von ihm vorgestellt werden soll. Nun, das mag ja noch in Ordnung sein – lieber indes hätte ich mich überraschen lassen.
    Das bekommt aber einen anderen Aspekt, wenn ich bedenke: Den «zweiten Teil» des Gesprächs widmete er SEINEM TV-Portrait von Grass, den er am Abend seines 70. im TV interviewen soll – – – – offensichtlich nicht wissend, WAS er überhaupt fragen soll. Da saß der berühmte Mattscheiben-Star, den Schreibblock auf den Knien, und schrieb, was ich ihm sagte, was für Themen, was für Probleme, für literarische Gesichtspunkte, auch biographische Verhakelungen «zu fragen» seien.
    Damit gut gerüstet geht der Mann nun also vor die Kamera und fragt MEINE Fragen. Auf die Idee, mich zu bitten, an dem Gespräch z. B. teilzunehmen (meinetwegen: er das politische, ich das literarische), kommt er gar nicht. Man kann’s auch Mundraub nennen.
    Sonntags schon um 18 Uhr in die Oper. Eine wunderschöne, harte, gar nicht «veroperte» Inscenierung von Verdis MACBETH, gute Stimmen, gutes Dirigat. Aber das ist nicht so interessant. Interessant vielmehr ist die Künstlichkeit dieser Kunstform (hat Thomas Mann sich nicht mal über das leicht Alberne der Oper als Kunstform geäußert?) – kann man Wahnsinn singen? Nicht zufällig – meine Weisheit habe ich aus dem Programmheft –, daß Verdi selber sich gegen «Belcanto» in diesem Zusammenhang wehrte, daß er sagte: «Ich möchte, daß die Lady nicht singt», offenbar schwebte ihm eine Art Sprechgesang vor. Dazu viele kluge Überlegungen im Programm-Heft, die ich hier nicht abschreiben muß. Peinigend dagegen der geschwollene Stuß dieses obligaten Heiner Müller, den die Theaterleute ja wahrlich in JEDEM – sich nicht bietenden, aber anbietenden – Zusammenhang zitieren, egal, ob’s

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