Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
einen Sinn ergibt oder nicht. Dieses hier ergibt gar keinen: «Das UND trägt den Akzent, die Wahrheit reist im Zwischendeck, der Abgrund ist die Hoffnung.»
Was, bitte sehr, Herr Lehrer, wollte der Dichter damit sagen?
«Mit den Deutschen ist’s nichts, den klotzigen Eseln» – so ähnlich sagt es Schopenhauer, jedenfalls steht’s so auf Wunderlichs Schopenhauer-Portrait. Der «Premieren»-Abend meines Heine-Buches war grotesk. Jetzt habe ich mal einen Verlag, der was für mich tut – und der macht’s falsch. Es war alles eine Nuance (neudeutsch) zu üppig, wie eine schicke Vernissage und nicht wie eine literarische Veranstaltung, mit Riesentabletts erlesenster Kanapees, auf allen Tischen 3 bis 4 Flaschen Wein UND nach dem Ganzen, ab 23 Uhr, ein «gesetztes Essen».
Wozu dann diesen Nachrichtensprecher? Als der er sich übrigens entpuppte – interessantes «soziologisches» Phänomen: Zieht man von diesen Leuten (wie z. B. Wickert) die Maschinerie, die Scheinwerfer, die Mattscheibe ab – bleibt nix. Der Mann konnte überhaupt nicht frei formulieren. Gab hilflos Stichworte à la «Hatte Heine nicht auch» oder «Wie war denn das dann in Paris».
Zu diesen künstlich produzierten Figuren fiel mir ein, wie ich vor endlosen Jahren mal bei Romy Schneider (als sie in Hamburg lebte) eingeladen war und, nachdem eine kleine unbedeutende und unattraktive Hausdame die Drinks angeboten hatte, ich mich fragte, wann denn nun endlich der «Weltstar» mal auftauchte – – – – bis ich begriff: Die Puschmaus WAR Romy Schneider!!! Hätte vermutlich bei Gründgens, Kortner, der Giehse nicht passieren können – BÜHNENschauspieler hätten/haben ihren eigenen Charakter.
Wozu mir wieder als PS zu dieser englischen Kindergärtnerin einfiel, wie seinerzeit – da war ich mit Maximilian Schell befreundet – Soraya sich über Paparazzi und «Verfolgung» usw. beklagte (vor allem über ihre Liaison mit Schell war die Presse entzückt) und, als wir zu Ehmcke am Gänsemarkt essen gingen, im Blitzlichtgewitter zu Fuß vom VIER JAHRESZEITEN, ich ihr im Restaurant sagte: «Setzen Sie sich dahinten bei der Gardine in die Ecke, ich setze mich vor Sie, dann kann Sie niemand sehen», antwortete die «Kaiserin»: «I want to sit open» und setzte sich so, daß jeder im Restaurant sie gut sehen konnte und die Fotografen zur Tür hereinstürmten, bis die Polizei kam (weil ein Restaurant als «geschlossener Raum» gilt). Genauso «versteckte» sich nun diese «Prinzessin» auf der weißen Luxusyacht, nackt, in der Bucht von Staint-Tropez – gewiß der «heimlichste» Ort der Welt.
Hôtel Lutetia, Paris, den 24. September
Paris – bei strahlend-sonnigem, fast sommerlichem Herbstwetter – schließt sich nicht auf; alles «klappt» nur zur Hälfte: Abends, verabredet und eingeladen, stehe ich im dunklen Anzug und Blumen und Heine-Buch bei Liebermann vor verschlossener Tür, einem Zusammenbruch nahe, weil in dieser XVIème – feinen Wohngegend – Mietspalast in der Avenue Monmorency –, mein Taxi war ja weg, kein Café, kein Restaurant, von wo zu telefonieren – nach ½ Stunde kam der Concierge – und eine entgeisterte, ungekämmte, ungeschminkte Mme. Liebermann im Trainingsanzug steht neben einem halb eingeschlafenen Rolf Liebermann: Sie hatten’s vergessen. Absurd-peinliche Situation, die zu meistern – statt beleidigt abzutauchen – ich viel Humor aufbringen mußte; auch angesichts des Tellers nackte Nudeln und der 2 Käse-Rinden (was für ein Haushalt in der 7-Zimmer-Penthouse-Etage!), die mir – «Keineswegs dürfen Sie jetzt gehen» – angeboten wurden.
Wir fingen uns dann bei Rotwein und Cigarre, sind ja schließlich keine Postbeamten, lachten und sprachen über die Verkommenheit von Politik und Kultur (er boykottiert die Schweiz wegen der Nazi-Gold-Affäre; immerhin, ein 87jähriger Mann!). Waren uns aber traurig einig, daß wir beide über Jahrzehnte so viel/zu viel Energie in die tägliche Aufgeregtheit – von rororoaktuell über Staatsoper bis ZEIT-Feuilleton – gesteckt haben.
25. September
Alle Proust-Notate nicht hier (gehen in meine Reportage ein). Aber die Fahrt in die Normandie – zu «seinen» Orten – will doch fixiert werden; nicht so sehr wegen der Schönheit (gibt es «Eleganz» einer Landschaft?) bei hochsommerlichem Sonnen-Wetter, sondern wegen der Hoch-Bizarrerie meiner beiden Pariser Freunde – die jedes Detail, jede Kirche, jede alte Dorf-Markthalle kennen, die ein Dach, eine kleine Kirche,
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