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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Mary unrecht zu tun – wohl vor allem, seit ich mir nun erstmals, da auch «Geschäftsführer», ein winziges Gehalt zahlen lasse. Wenn ich in den alten Akten lese, daß sie, für den Fall des «finanziellen Notfalls», sich von Marbach (wohin sie ihr Millionen-DM-wertes Archiv VERSCHENKT hatte) einen Monatsbeihilfebetrag von 3500 ausbedungen hat, kann man ihre Bescheidenheit nicht hoch genug veranschlagen. Irgendwas ist mir da an mir fatal – – – wenngleich ich zur selben Zeit mir sage: Das da, in Amsterdam, habe ICH gemacht, ICH initiiert und niemand anders, wie auch die Tucholsky-Gesamtausgabe – – – SO WAS hat SIE zeitlebens nicht geschafft. Ihr Teil an dem Ganzen war rührend, aber zu Teilen ungeschickt – ich dagegen arbeite hochprofessionell (und werde diese Ausstellung eventuell in viele Länder schicken, nach Paris ist es jetzt bereits sicher).
    Der Abend mit Andreas Landshoff, Sohn des Exilverlegers und Vater von Antjes geschiedenem Mann, war hochinteressant – ich wußte gar nicht, daß er à la Ledig «nicht anerkannt» vom Vater mit seiner Schauspieler-Mutter in Berlin gelebt hatte (also nie emigriert war), die Mutter die Geliebte von Pamela Wedekind, die wiederum mit Erika Mann … usw. und daß sein «Ziehvater» Wolfgang Liebeneiner war, der wiederum den schlimmen Euthanasie-Film ICH KLAGE AN für die Nazis gedreht hatte. So sausten den ganzen Abend Namen über den Tisch; wenn er erzählte, wie er im von ihr an Gründgens vermieteten Haus in einer Mansarde wohnte, erzählte ich von meiner (einzigen) Begegnung mit Klaus Mann – das war dann ausgerechnet dessen Berlinbesuch, bei dem er auf Bitten von Vater Landshoff aus Amsterdam herauszufinden suchte, ob der Sohn eventuell Nazi-verseucht. Dieser, der Sohn, war inzwischen mit Suhrkamp befreundet, dessen Cheflektor hieß Hermann Kasack – und den hörte ich, tief beeindruckt, 1947 in irgendeinem literarischen Hinterzimmer aus seinem DIE STADT HINTER DEM STROM vorlesen, dazu mich der Pfaffe Mund mitgeschleppt, seinen literaturinteressierten minderjährigen Lover, der auch im NAAFI-Club am Reichskanzlerplatz verkehrte, wo Landshoff aus und ein ging. So könnte ich endlos weiter aufschreiben – ZU viele Ko-Indizien, Namen von Menschen, die man ganz anders, aber eben beiderseits kannte – Gerhard Hirsch, offenbar ein früher Gründgens-Lover und noch früherer Lektor bei VOLK UND WELT (!!), der dann hier im Hamburger SCHAUSPIELHAUS Dramaturg war, ich kannte ihn zu DER Zeit gut, er rief mich nach Eckfrieds Denunziationsbrief mit dem Satz (er war schwul, es durfte aber niemand wissen) an: «Wenn mir so was PASSIERTE, BRÄCHTE ICH MICH UM.» Er BRACHTE sich um, wenig später.
    Kampen, den 19. August
    Besuch von Kempowski, der hier eine Lesung hatte. Aber, anders als angekündigt, nicht aus einem NEUEN Buch, sondern, wie er selber sagte – «Hauen Sie bloß ab, alles olle Kamellen» –, aus alten Büchern (was eigentlich nicht Usus ist). Also ging ich, verabredet auf «hinterher», Viertel vor 10 hin. Da las und las und las er, ich umstreifte den erleuchteten Saal, fast 1 volle Stunde, um nicht unhöflich zu sein. Als der Star schließlich erschien und ich, doch etwas belegt, sagte, ich hätte fast 1 Stunde gewartet, kam in einer Mischung aus Selbstbewußtsein und Pampigkeit: «Was ist schon 1 Stunde.» Dann gingen wir ins Gogärtchen, immerhin keine Kneipe – er bestellte 1 Bier und Salzletten, zum ratlosen Entsetzen der Kellnerin. Indes er auf den «gräßlichen» Uwe Johnson schimpfte, da er gerade den Johnson-Preis entgegengenommen hatte, und erzählte, daß sein Verlag ihm Briefe vom «Controller» schickte, weil man bereits knapp 400.000 Mark in das neue ECHOLOT-Projekt gesteckt habe (NICHT sein Honorar, sondern Unkosten – das Honorar kommt noch drauf). Er habe aber auf die Unwilligkeit, weiter zu zahlen, nur geantwortet: «Dann lassen wir doch das Ganze» – wohl wissend, daß das nach fast ½ Million Investition nicht mehr geht. Das schlaue Schulmeisterlein –.
    Kampen, den 29. August
    Die verärgernde Enttäuschung der – nunmehr 3wöchigen – Proust-Lektüre.
    Diese Lektüre hat sehr verschiedene Defekte des Artisten Proust offenbart, von denen ich mich nur wundere, daß so viele Bewunderer nie darauf hingedeutet haben (oder, was ich vermute, die meisten haben den so Gepriesenen gar nicht gelesen).
    Das eine ist die schwer erträgliche geschmäcklerische Zierlichkeit, durchaus bis ins sprachliche Detail hinein, das ständige

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