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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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bezaubernd, hinreißend, zauberhaft, eine Sprache der Gesellschaftsklatschspalten. Damit im Zusammenhang der Farbrausch mit dem ewig wiederholten «Mauve-farben», obwohl Mauve Malven heißt und es Malven in VIELEN Farben gibt (noch heute las ich, aus anderem Grunde, Rudolf von Salis’ Beschreibung von Rilke und dessen MalvenBLAUEN Augen …). Diese falschen Farbräusche – Hortensienfarben –, aber auch Hortensien gibt es in vielen Farben; oder Onyx-farben – ich selber habe Manschettenknöpfe sowohl aus schwarzem wie aus braun-beige Onyx – zeigen eine Schmucksprache, wie sie, pars pro toto , so ein Satz verrät: «die gleiche, rosig durchglühte, doch perlmuttfarbene Blässe lebte in den marmorhaften Wangen …»
    Am liebsten würde ich in einem eigenen Buch mal, nicht als Zitat kenntlich gemacht, einige solcher parfümierten Passagen einmontieren – die Kritik würde sich das Maul zerreißen.
    Die nächste Ebene ist die entscheidendere: Proust ist ein Parvenu, einer, der eine Gesellschaftsschicht schildert, in die er nicht gehört, in die er nur durch Schliche und Intrigen «gebeten» wurde und deren Papperlapapp er letztlich bewundert; sonst würde er nicht viele, viele Seiten damit vergeuden auseinanderzuzwirnen, ob nun der Sohn eines Herzogs auch Prinz sein kann und ob eine Gräfin mehr oder weniger ist als eine Duchesse und wann jemand statt Monsieur Monseigneur angeredet werden muß und wer von wem abstammt, durch Heirat in eine andere Adelsschicht gelangt oder gar abgestiegen ist. Er drückt sich die Nase an der Schaufensterscheibe platt und tanzt sich in einen Saal, in den er nicht gehört und von dessen Glanz (den er dann most colorful abschildert) er «hingerissen» ist. Sehr, sehr selten gibt es kleine Distanzpassagen, Ironismen über Bälle oder seichtes Salongeplauder oder über den Herzog von Guermantes, der sich bei einem Gespräch ärgert, in dem Namen fallen, die er nicht kennt: «Ungewiß, ob Ibsen oder d’Annunzio tot oder lebendig waren, sah er …» Zumeist aber ist der Autor geblendet von «Sie war die Tochter des Marquis de …» oder «Ein Norpois hatte unter Ludwig XIV. die Tochter des Herzog von Montmart geheiratet …» – Seiten und Seiten und Seiten voll mit diesem Quatsch-Klatsch in dieser Dekor-Sprache: «weiß-gelb geifernde Schlangen krümmten sich auf seinem Gesicht, während seine Stimme abwechselnd schrill und dumpfgrollend war wie ein ohrenbetäubender rasender Orkan». Stefan Zweig ist ja Kafka dagegen, noch öfter und fahrlässiger als jener benutzt Proust diese ewigen «Wie»-Vergleiche, was man sonst keinem Anfänger durchläßt (und was NICHT nur auf die schlechte Übersetzung zurückzuführen sein kann; Onyx-Augen hat ja nicht die Übersetzerin «erfunden», auch nicht das ständige «erblassen» und «erröten»). Für meinen Geschmack ist Balzac der kräftigere – der, nicht zufällig, erinnerbare Menschen, Figuren, Charaktere geschaffen (ERschaffen?) hat und nicht nur robenraffende, diademtragende, Schwanenfederfächer fächelnde Marquisen. Selbst die vielen berühmt gewordenen Dicta – Graf Montesqieu leiht sich Schmuck bei einem Bekannten, der ihm den mit der Bemerkung gibt, es sei Schmuck seiner Familie; darauf der parfümierte Snob: «Ich wußte, daß Sie Schmuck haben – daß Sie eine Familie haben, wußte ich nicht»; irgendeine Herzogin verlangt, daß man sich in ihrer Gegenwart erhebe, worauf eine andere bemerkt: «Welche Veränderung – bei Ihrer Mutter mußten die Herren sich hinlegen» – selbst derlei hat eigentlich nur Pennäler-Niveau. Das ginge ja, wenn es ALS Pennäler-Niveau vorgeführt würde – aber Proust «rechnet eins-zu-eins», schlimmster Fehler in der Kunst. Man kann ENNUI nicht darstellen, indem man Langeweile verbreitet.
    Abstoßend und sogar seltsam linkisch seine homosexuellen Schilderungen (selbst wenn man «die Zeit» abzieht, zu der natürlich kein Genet möglich war). Wie Monsieur de Charlus mit dem Handwerker verschwindet oder wie ein Graf es mit dem Diener auf den Champs-Élysées (wie das?, wo dort?) treibt, der ihn dann beim nächsten großen Empfang vorstellen muß und ihn erkennt – banal. Befremdend dabei, wie der homosexuelle Proust – und das ist SEIN Ton, nicht die zitierte Sprache «der Gesellschaft» – die Homosexuellen verunglimpft, von ihrer Krankheit, notwendigen Isolierung, Einsamkeit und Glücklosigkeit schwafelt; auch das SEITENlang.
    Kampen, den 31. August
    Prousts Drapier-Räusche – «Die Gräfin

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