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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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einen skurrilen Antiquitätenladen sofort sehen: und NIE die Landschaft, die kommt mit einem «Ça c’est tellement beau» weg, während das absolut kleinste Kunst-Detail mit wahrer Inbrunst genossen wird, ein Giebel, eine Schindel-Fassade, eine Holz-Katze auf einem Dach. Im Kopf bereits die abendliche Vernissage, zu der man noch unbedingt in Paris sein muß (und die wir, wegen Stau, natürlich – Gott sei Dank – verpaßt haben), rasen die Strandpromenade von Deauville entlang, nur auf der Suche nach einem Proust-Hotel, einer Proust-Villa. Auf die Idee (für mich eine Sehnsucht), einen Moment am Meer zu verweilen, am Strand zu sitzen, Wellen und Möwen zu lauschen (ich hätte so gerne ½ Stunde geschwommen), kämen sie nie. Ich war verhungert nach Luft, Sonne, Stille, Meer, hätte mich irgendwo 1 Stunde in einen Liegestuhl gelegt bei dem hochsommerlichen Wetter – sie waren «verhungert» nach einem guten Déjeuner mit Wein, 3 Gängen – eine Qual für mich.
    Es ist geradezu ein Erlebnis, zwei solche Arte-Fakt-Menschen zu beobachten, für die der Crevetten-Schaum und die Profiteroles mit heißem Chèvre ihre Genuß-Substanz sind. Aber eben zugleich ein romanischer Kirchturm. Ein Konsumentenleben, meines war/ist ein Produktions-Leben. Da aber das/mein Produkt nicht so erheblich ist: Wer lebt da richtig?
    Hotel Westbury, New York, den 6. Oktober
    Mein vermutlich letzter New-York-Besuch, mit Zeit und Geld und ohne innere Lust; eher wankend als spazierend an meinen Inkunabeln entlang, Matisse-Gang, Demoiselles d’Avignon, American Wing (Tiffany) und Rockefeller-Wing (Neu-Guinea, eine Wunderwelt des entsetzlichen Totenkults); ich absolviere das alles mehr, als daß es mich entzückt. Wie auch die Wanderungen durch die Art-déco-Stadt, der Reagonomics-Trump-Tower scheint mir gar schäbig, der Rainbow-Room leicht vulgär – meine Seele schleift.
    Apropos tot: habe auch kaum noch Bekannte hier, Freunde gar nicht, fühle mich aufdringlich, weil ich mit den Verlegern (Roger Straus) kein Thema und mit Autoren (Arthur Miller) eigentlich wenig gemeinsam habe.
    Das strikte Rauchverbot macht mich grantig – weil mir was verboten wird.
    Und die Angst, das spesenteure Interview mit Toni Morrison zu verpatzen, läßt/ließ mich nicht schlafen.
    Hotel Westbury, New York, den 7. Oktober
    Die New-York-Woche geht dem Ende zu.
    Gestern also Besuch bei/Gespräch mit Toni Morrison in Princeton. Beeindruckende Frau mit schönem, ausdrucksvollem Gesicht und ihre dramatischen Gebärden stets unterstreichenden Augen, gelegentlich Schauspielerin, die ihrer Wirkung bewußt, und dann plötzlich tief-ernste Sklaven-Urenkelin. Das Gespräch seriös, beteiligt, «full of compassion» und hochintelligent. Der Gang zum Restaurant dann sonderbar – plötzlich war sie eine enten-haft watschelnde, dicke Neger-Mammi aus «Vom Winde verweht», die von der Ernsthaftigkeit in die Eitelkeit kippte – «Morgen habe ich Lunch mit Hillary» oder «Ich bin das Aushängeschild der Uni» – meine Cigaretten rauchte und mir erzählte, sie müsse aus Geldgründen an dem Universitätsjob festhalten; die Auflagenmillionärin.
    Hotel Westbury, New York, den 8. Oktober
    Düster bedrückender Abschied von New York: Beide Ärzte haben «Befunde» festgestellt, nix «Der eingebildete Kranke». Es scheint in/an den Füßen eine – irreparable? – Nervenstörung, und auf meine Frage «Werde ich eines Tages nicht mehr laufen können?» kam keineswegs ein entschiedenes «Keine Sorge».
    Wie ein Auftakt/Abtakt ein ziemlich entsetzlicher Abend mit dem einst so alerten Grove-Presse-Verleger Barney Rossett, nun ein eigensinnig schwatzhafter weißhaariger Greis, der von 18 bis 23 Uhr nur von sich, seiner GI-Zeit in Japan – mit Foto-Alben vorblättern – und dem Kampf um seinen, ihm von Weidenfeld und der Dame Getty geraubten Verlag wie dem um seine Memoiren plapperte. Ließ mich die Rechnung bezahlen. Wieder ein «Abschied».
    14. Oktober
    Der gestrige Grass-Staatsakt nicht ohne komische, aber auch kleine ergreifende Aspekte. Erst einmal muß man ja anmerken, daß ein großes Theater AUSVERKAUFT ist, nur, um einen Schriftsteller zu ehren. Dann, daß immerhin Autoren wie Rushdie und Nadine Gordimer von weit angereist kommen, um ihr HAPPY BIRTHDAY TO YOU aufzusagen (wobei eine der komischen Pointen die Bullen des Rushdie waren, die Seiten-Bühne, Vorderbühne, Hinterbühne in ganz «unkenntlich» machenden roten und grünen Sakkos bevölkerten, den Publikumsraum starr

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