Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
qualitätslos, Herero-Marmelade und Kühne-Essig. Vom miesen spanischen Wein zu schweigen.
Umgeben von geblümten Gardinen, gläsernen Teekannen, Kantinenbesteck und bastgeflochtenen Lampen. Kotzt mich an und macht mich nervös. Es ist – für mich – keine Erholung, weil ohne Spiel und Charme. Erholungs-Zwang.
Meine Sorgen möchte ich haben. Zugleich nahezu ergriffen von meiner Faulkner(-Biographie)-Lektüre; darüber hier im einzelnen nichts, weil im – entstehenden – Essay zu lesen.
Nur soviel: Sowohl sein Gentleman’s-Ekel – er haßte es, in Gegenwart anderer zu essen; in dieser Schmatz- und Zahngepule-Gesellschaft hier nur allzu gut zu verstehen – als auch sein Bedürfnis, ein «Nest» auszustaffieren, mir sehr nahe. Gewiß war sein Rowan Oak samt Farm, Tennisplatz, Gesinde- und Privatflugzeug leicht übertrieben und sein «Auf-den-Strich-Gehen», will sagen nach Hollywood, wahrlich selbstverschuldet; aber das Auspolstern der Höhle, worin sich zurückzuziehen, kenn ich nur zu gut. Es hat wohl mit zweierlei zu tun: Weltangst und Feminität (bei Faulkner ja viel Androgynes!). Der sogenannte «richtige Mann», von Sartre bis Grass, gibt nicht viel auf Wohnbehaglichkeit, gar Luxus. Schon Thomas Manns Abhängigkeit von Schreibtisch, Teppich, allerlei Dekor zeigt ein, sein Element der Weiblichkeit. Grass, als er damals wegen einer Frauengeschichte bei mir Asyl suchte, kam mit einem Leinenbeutel, darin das «Butt»-Manuskript – er konnte sich an den nächstbesten Tisch setzen und weiter daran arbeiten. Faulkner hatte einen abnehmbaren Türknauf, um sich ein-zu-igeln, die Muschel zu schließen.
Hotel Domizil, Tübingen, den 11. November
Besuch – letzter? – bei Hans Mayer; nach langjähriger «Pause». Er ist seine eigene Anekdote, die so geht: Hans Mayer hat Besuch. Er redet 2 Stunden ohne Unterlaß, wo er alles Vorträge gehalten und welche bedeutenden Leute er dabei getroffen hat. Nach langem betäubtem Schweigen wird der Besucher gefragt: «Und nun zu Ihnen – haben Sie mein neustes Buch gelesen?» So wurde die Frage «Wie geht es?» unwirsch weggewischt (und, selbstverständlich seinerseits nicht gestellt), daß er praktisch blind ist und nicht mehr lesen kann – schockierend das Spezialtelefon mit Riesenzahlen auf einer Extratastatur; «eine Bibliothek? Das vermisse ich nicht. Ich habe alles im Kopf, ich habe ein abnormes» – er wollte wohl sagen: enormes – «Gedächtnis.» (Was wahrlich stimmt.) Nur gelegentlich blitzt ein «Erkennen» auf, daß da ein anderer Mensch in Fleisch und Blut sitzt; so, als er von einer Heine-Sendung spricht und fragt, mit welchem Gedicht er sie wohl begönne. Die Lehrer-Schüler-Situation macht ihm Spaß und mehr noch, als ich mit «Vermutlich ‹Die Grenadiere›» das Examen bestehe; «doch ein intelligenter Mann», Schüler Raddatz bekam eine Eins (später noch einmal, als ich eine Zeichnung als von Guttuso erkannte – natürlich war es ein Geschenk von irgendjemand Berühmten). Derlei weicht seine selbstgerechte Intellektualität für einen Moment auf, so erzählt er, daß seine von den Herren Girnus und Schuhmacher gestohlene Leipziger Bibliothek gefunden wurde, er sie «besichtigen» durfte und das erste Buch aus den vielen tausend Bänden, das man für ihn herauszog – ein Band Tucholsky mit FJR-Widmung war. Derlei ist seine einzige Möglichkeit, Freundlichkeit zu zeigen. Ansonsten eine erstarrte Ich-Ich-Ich-Feier und ein versteinerter Haß; nach wie vor heißt Ranicki «der polnische Verbrecher», und selbst die Erwähnung von Unseld – als ich berichtete, daß Suhrkamps Grab in Keitum/Sylt ungepflegt-vernachlässigt ist – produziert nur eine verächtliche Handbewegung. Und ein sofortiges «MEIN Grab wird sehr schön», er hat es sich auf dem Dorotheestädtischen Friedhof gesichert: «Da gehöre ich schließlich hin, ich werde neben Brecht und Eisler und Arnold Zweig und Hermlin liegen, das wird sehr schön.» Er merkt nicht, wie absurd dieser Satz klingt, immer, immer wieder und noch immer, bis über den Tod hinaus, dieses «Ich gehöre zu den Berühmten, ich bin bei feinen Leuten eingeladen», offenbar ein unausrottbarer Minderwertigkeitskomplex, wie es schon Bobrowski in einem schönen Distichon festhielt –, jeder Name gilt nur, wenn er mit Hans Mayer in Beziehung zu setzen ist – sagt man Liebermann, kommt subito : «Er hat mir seine Heine-Partitur gewidmet», und sagt man Monk, heißt es: «Ich weiß gar nicht, was er gegen mich hat.»
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