Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
mit dicken Kopfweh- und Schlaftabletten Ruhe fand). Er konnte seine Liebe so zart formulieren: «Ungeduldiger. Ist die Saite schon überspannt? Streichelst Du mich nicht mehr? Das wäre sehr, sehr bitter, wenn Du mich nicht mehr liebhaben kannst. Sehr bitter ist, wenn der eine lieben muß und der andere nicht lieben kann. Meine Augen streicheln Dich, und meine Hände folgen ihnen zaghaft.»
Die Briefe schon dieser frühen Zeit – alles in allem sind es HUNDERTE – haben Barometerstürze, die ich eben nicht begriff und die mich schon damals zerstörten: «Wer soll die Führung übernehmen. Es geht garnicht anders, als daß es bei Dir läge», dann das verzweifelte «Ich bin zu der Überzeugung gekommen, Du solltest versuchen, mich zu vergessen» – und 2 Tage später: «Verlasse mich nicht, bleib bei mir, ich möchte mit Dir leben, egal wo und wie, ich habe mein Leben lang auf einen Menschen wie Dich gewartet, habe es – ihn – nicht zu erträumen gewagt.»
Er war intelligent auf eine natürliche Weise, aber total ungebildet; den Namen Marx hatte er noch nie gehört, aber gewissermaßen seinen Privat-Marxismus ausgebildet. «Du lebst nur von Sekundär-Werten», schreibt er, «Büchern, Theater, Oper, Kunst – alles, was andere Menschen GEMACHT haben. ICH lebe in der Natur, sehe Entstehen und Sterben, säe und ernte, ich lebe in einem anderen Rhythmus.» Zu Recht sah er, daß ich zwar Natur liebe – aber als «Ausgleich», nicht per se. «Du wirst nie in Gummistiefeln mit mir durch Jauche und durch die Felder gehen.» Und warum eigentlich nicht? Sage ich HEUTE. Damals war ich viel mehr als jetzt der totale Stadtmensch, damals war eine Kuh etwas Fremd-Widriges, eine Gaudi-Fassade entzückte mich (dessen Namen er nicht kannte).
Die Briefe zeigen einen zutiefst lauteren, von Angst zerfressenen, dem Leben mißtrauenden Menschen, der selbst dem Anker, den er in mir gefunden zu haben meinte, nicht traute – zumal der Anker selber einen Anker brauchte. Ich war noch so unfertig, so unsicher, so angespannt in Sehnen und Muskeln wie eine vom Dach gefallene Katze, ich war so mit ÜBERleben (nach DDR und Jochen-Katastrophe) beschäftigt, daß ich noch garnicht wußte, wie man das macht, LEBEN – keine Gemächlichkeit, keine Geduld, und Zärtlichkeit vielleicht im Bett, aber nicht in der Seele kannte.
DIE hatte ich – vielleicht das erste Mal, wie er – DORT entdeckt. Aber ER war ein Mensch ganz und gar ohne Selbstwertgefühl, weswegen einerseits dies anrührende «Ich laß mich zum 1. Mal im Leben fallen, ganz und gar – wirst Du mich auffangen können, hast Du nicht Angst vor der Verantwortung, DU mußt die Führung übernehmen» – und andererseits Angst, ja HASS auf die vermeintliche Überlegenheit, die er bald Kälte, Gleichgültigkeit, Karrieresucht und Ehrgeiz nannte.
Wobei er in vielem recht hat. Tief berührend etwa der Vorwurf, ich habe am Grabe Tucholskys – zu dem wir gereist waren – die Blumen nicht DURCH IHN niederlegen lassen, habe dort gleichsam allein gestanden und ihn allein gelassen, «obwohl Du es durch meine Arme hättest tun müssen, es sind auch die Deinen»; ein unvergeßlicher Satz. Recht hat(te) er. Er fühlte sich als Accessoire, als ein «auch» – während er das «nur» wollte.
So blieb ihm EINE Waffe: sein Körper. Er war nicht nur schön, sondern verführerisch – ein Honigtopf, von dem alle, Männlein wie Weiblein, naschen wollten, ob er halbnackt im Skiurlaub auf einer Hotelterrasse lag oder ganz nackt am Strand. Und in einer gewissen naiven Animalität – später in einer ganz wirren Lustsuche – gab er dem nach. Bald war die Zerstörung so weit, daß er mir in actu sagte: «Töte mich, bitte töte mich»; er wollte durch mich und MIT mir untergehen, hatte mir ja mehrmals den GEMEINSAMEN Selbstmord vorgeschlagen – auch da hatte ich ihn also «allein gelassen».
14. April
Gestern abend im TV bei einem allerbilligsten Landser- und Kriegsfilm geschniegelt (und immer noch energisch – jung und gut aussehend) der Herr Oberleutnant Helmut Schmidt mit dem Kommentar, ER habe von der Judenvernichtung erst NACH dem Kriege erfahren. Wie dreist kann dieser zahnraffendbissige Mann – der NIE mit EINEM Wort erklärt hat, warum er, doch freiwillig, OFFIZIER der Naziarmee wurde – lügen. DIE KINDER sangen bereits Abzählreime: «… dann kommst du ins KZ», und die Juden wurden auf Hamburgs Moorweide oder in Berlin-Zehlendorf VOR ALLER AUGEN zusammengetrieben: zu Spreewaldfahrten
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