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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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esse mit Blick aufs Mittelmeer mein Tatar als hier angeberisch aufgedonnerten Reh-Rücken.
    Gran Hotel Bahia del Duque, Tenerife, den 9. März
    Grotesk-grinsender Traum: der eigene Tod, ruhig (wishful dreaming!) sterbend, Gerd hält schluchzend meine Hand: «Laß mich nicht alleine.» Ich: «Ich will es ja nicht.»
    Gran Hotel Bahia del Duque, Tenerife, den 11. März
    Wie mein eigenes Rätsel: Es scheint, als habe ich meine Arbeit(-swelt) nicht nur erotisch, sondern gar sexuell «besetzt».
    Letzte Nacht träumte ich von FAZ-Schirrmacher (den ich knapp kenne!), der mir anläßlich einer Einladung zu einem gigantischen FAZ-Fest, zu dem die ganze Stadt geladen war, ein Angebot machte – natürlich für irgendwas ganz «Leitendes», oberhalb der Herausgeber – und mir 300.000 DM in gerollten Scheinen gab; die steckte ich in meine linke Hosentasche, so daß irgendein Gast diese «Erektion» berührte und sagte: «Ha, über Reklamationen können Sie wohl nicht klagen.» Dazu brauche nicht mal ich Freud …
    Nachts zuvor war Augstein dran, noch rätselhafter, weil seit Jahren nichts mit ihm zu tun, ihn nicht gesehen, und die Duz-Freundschaft interpretiert ja die Nähe etwa zum Chauffeur.
    Dennoch irgendetwas Wirres, mit Maria Augstein – natürlich –, einem Beil und Franziska. Da kommt wohl, falls Erotik auch Freundlichkeit ist, wie ein Schluckauf meine abgewiesene Fürsorglichkeit hoch: Ca. 2 Jahre lang war ich, in meiner Zeit mit der schön-somnambulen Maria Augstein, eine Art Ziehvater von Jakob und Franziska Augstein, durfte ihnen den Weihnachtsbaum schmücken, ein Radio schenken (was der arme Papa sich nicht leisten konnte), und beide Kinder, bei einem gemeinsamen Urlaub auf Sardinien, flohen schreiend zu mir, als – ein unrasiertes Ungeheuer – Papa per Boot an unserem Strand auftauchte: «Fritz, Fritz, wir wollen bei dir bleiben» (Rache und Triumph für Kriemhild Maria).
    Kampen, den 28. März
    WURZEN STREICHT HITLER VON EHRENBÜRGERLISTE.
    Jetzt, im Jahre 1998 – wo immer Wurzen liegen mag …
    Kampen, den 29. März
    Horror-Wochenende: Als sei ich Masochist – in Wahrheit wohl eher aus einer schwer definierbaren Bilanzstimmung –, habe ich den Koffer mit Eckfrieds Briefen geöffnet und ALLE gelesen – – – und verbrenne, bis auf geringe Ausnahmen, alles. Wen interessiert es, wen geht es auch was an, diese rasende, unvernünftige, wahnhafte, geradezu un-irdische Liebe (die eben an diesem Un-Irdischen auch zerbrach).
    Spüre bei jeder Zeile, daß ich den Mann – damals ein traumschöner Junge von 29 Jahren – noch heute liebe, daß diese Wunde vielleicht verheilt, aber nie vernarbt: Jede Zeile, jedes Liebeswort, selbst die auf jeden Außenstehenden lächerlich wirkenden eingeklebten Blümchen, Mondschein-Assoziationen («werde ich Dir begegnen, wenn ich in die Sterne blicke») berühren mich tief. Er war zu weich, zu unfertig, zu kaputt schon so früh. Bereits die allerersten Briefe – das alles ist jetzt 37 Jahre her! – sprechen von Abschied, von «es geht eben nicht» und – Leitmotiv – von meiner beruflichen Inanspruchnahme, von «Deiner mir fremden Welt», davon, daß ich zuwenig Zeit für Gemeinsamkeit haben werde. Ich war 30, hatte gerade die Arbeit im heißgeliebten Rowohlt-Verlag übernommen, der ja zu meiner DDR-Zeit mein Tor in die Welt gewesen und der damals (Suhrkamp war noch klein, fein, aber unbedeutend) der wichtigste deutsche Verlag war, ich STÜRZTE mich in die Arbeit: Es war nicht «Karrieresucht» (ich glaube, ich wußte garnicht, was Karriere ist) – es war eine Art erotische Beziehung zur Arbeit. DAS – ohne es zu begreifen – spürte dieser hochsensible, schöne Bauernjunge – das andere Stärkere. DAS war seine Eifersucht, daher, bis zum bitteren Ende hin (mit dem Denunziationsbrief, der in meiner ARBEITSwelt verteilt wurde), das Fremde, der Feind.
    Er hat mich abgöttisch geliebt, er kam sich zu klein, zu dumm, zu unbedeutend vor – «hättest Du nur ein Wort gesagt, ich wäre mitgekommen nach Paris – ich wäre Dir überallhin gefolgt» –, es sind herzzerreißende SOS-Signale – die ich garnicht verstand, weil ich seinen Lebenszickzack zwischen beutegierigen Bauernbrüdern, selber keinen Beruf habend, eingenebelt bereits in einer psychiatrischen Klinik, und Vaterproblemen nicht begriff.
    Dabei sind die Briefe «besser», intelligenter, als ich sie in Erinnerung hatte (was mich so umwarf, daß ich vor Magenschmerzen gestern nicht zu Abend essen konnte und nur

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